Wo die Wahrheit ruht
mich sozusagen aus meinem Schneckenhaus herausgelockt”, erklärte er und verspeiste dabei den letzten Kräcker.
“Aber wenn er keine Ahnung vom Angeln hatte und Sie nichts über Kunst wussten, worüber haben Sie beide sich die ersten Tage unterhalten?”
Zum ersten Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte, schien Bernie nervös zu werden. “Oh, über dies und das.” Er stand auf und nahm das Tablett. “Ich kümmere mich um den Abwasch.”
“Sie brauchen nicht …”
“Bitte. Ich bestehe darauf.”
Grace hielt ihren Blick eine Weile auf die Küchentür geheftet und lauschte auf die Geräusche, die er machte, als er Wasser ins Becken laufen ließ. Die Tatsache, dass er alles Nötige mühelos fand, ließ darauf schließen, dass er schon früher einmal hier gewesen war. Auch wenn er nicht versuchte, seine Vertrautheit mit Stevens Haus zu verbergen, so schien es ihn doch nervös zu machen, über bestimmte Aspekte seiner Beziehung zu Steven zu reden. Warum? Über alles andere hatte er offen geplaudert. Was hatte ihn dann bei der letzten Frage so nervös werden lassen?
Ein Klopfen an der Tür setzte ihrem Grübeln ein Ende. Vor der Schwelle stand eine attraktive Frau Mitte fünfzig. Genau wie Bernie besaß sie feuerrotes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, dazu ein schmales ovales Gesicht und neugierige dunkle Augen. Unter ihrem Regenmantel lugten ein farbenfrohes Oberteil und weiße Jeans hervor.
“Sie müssen Judy sein”, sagte Grace und riss die Tür weit auf, um die Frau hereinzubitten. “Ich bin Grace. Bitte treten Sie ein. Hier, geben Sie mir Ihren Mantel.”
“Danke schön.” Judy spähte in Richtung Wohnzimmer. “Es tut mir so leid”, sagte sie. “Ich hätte sofort herkommen sollen, aber er hat mir versichert, dass es ihm gut gehe, und auf der Kinderstation war heute Abend extrem viel los.”
“Es geht ihm gut.” Grace hängte den Regenmantel an die Garderobe. “Kommen Sie nur herein, und sehen sie selbst.”
Im gleichen Augenblick, als seine Schwester das Zimmer betrat, kehrte Bernie aus der Küche zurück. Lächelnd ging er auf sie zu, um sie zu umarmen: “Hallo, Schwesterherz.”
“Tut mir leid, dass ich so spät dran bin.” Sie entdeckte sogleich die Pflaster auf seinen Händen. “Was ist denn hier passiert? Du hast gesagt, du bist nicht verletzt.”
“Bin ich auch nicht. Das sind nur ein paar Kratzer. Ms. McKenzie musste das Wagenfenster zertrümmern, um mich herauszuziehen.”
Judy drehte sich um. “Wo sind nur meine Manieren? Ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt für das, was Sie getan haben.” Sie klang gerührt. “Sie haben Unglaubliches geleistet. Doch, das haben Sie”, bekräftigte sie, als Grace den Kopf schüttelte. “Josh Nader hat mir alles erzählt. Ich weiß nicht, wie Bernie und ich Ihnen das jemals danken können.”
“Sollte ich einmal in den Fluss fallen, dann kommen Sie einfach vorbei und retten mich. Abgemacht?”
Auf Judys ernstem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. “Abgemacht.” Ihr Blick fiel auf den Couchtisch. “Sind das die berühmten Angelköder, von denen Bernie mir erzählt hat?”
“Sind die nicht großartig?” Bernies Augen strahlten. “Schau mal, Schwesterherz, sieh dir diese Wobbler an.”
“Ich bin sicher, dass du viel Spaß damit haben wirst. Trotzdem sollten wir uns jetzt aber besser auf den Weg machen. Wir wollen doch Ms. McKenzies Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Außerdem will ich noch beim Polizeirevier vorbeischauen, um mit Montgomery zu sprechen.”
“Warum?”, fragte Bernie.
“Ich will nur sicherstellen, dass sie auch wirklich alles unternehmen, um den Fahrer dieses Pick-ups zu finden.”
“Ich bin nicht davon überzeugt, dass sie mir wirklich glauben.”
“Das werden wir noch sehen.” Judy wartete, bis ihr Bruder den Deckel des Köderkastens zugeklappt hatte, und wandte sich dann an Grace. “Wer um alles in der Welt hat ihm nur so etwas Schreckliches antun wollen?”, fragte sie flüsternd, damit es nicht an Bernies Ohren drang. “Und warum? Bernie hat noch nie einer Menschenseele etwas zuleide getan.”
Später in der Nacht, als sie im Bett lag, stellte sich Grace dieselbe Frage.
19. KAPITEL
K ein Mann hatte mehr Unterhaltsames in Grace' Leben gebracht als Ari Fishburn. In Griechenland geboren, war er im Alter von zehn Jahren von einem amerikanischen Ehepaar adoptiert worden. Seine Leidenschaft für Kunst hatte sich schon in sehr frühen Jahren
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