Wo fehlt's Doktor?
Sie sind nicht sehr groß, reichen kaum für eine Mahlzeit aus.«
»Miß MacNish! Was zum Teufel treiben Sie da?«
Sie starrte Sir Lancelot an, als wäre er ein total Fremder. »Ich arbeite hier, Sir.«
»Kommen Sie sofort nach Hause.«
»Ist das alles, Herr Doktor?«
»Danke, Miß MacNish. Das ist für den Augenblick alles.«
»Bonaccord! Was fällt Ihnen ein, mir meine Köchin auszuspannen?«
»Ich war der Meinung, daß die gute Frau keinen Posten hatte«, sagte der Psychiater mild. »Ich gebe zu, daß ich ihr schon seit Monaten angeboten habe, hier zu arbeiten. Aber aus einer ganz bewundernswerten Loyalität hat sie immer wiederabgelehnt.« - »Sie Verräter!« - »Beruhigen Sie sich, Lancelot! Ich weiß, Sie sind erregt, aber schließlich und endlich leben wir in einem freien Land mit einem freien Arbeitsmarkt.«
»Soll ich den Herrn zur Tür bringen, Herr Doktor?«
»Sehr gut, Bonaccord, sehr gut! Behalten Sie sie nur. Ich hoffe, die Gesellschaft ihrer flöheverseuchten Katzen wird Ihnen Spaß machen.« Er warf Miß MacNish einen wütenden Blick zu. »Ich persönlich würde es vorziehen, mir meine Mahlzeiten von Ihrer geierköpfigen ägyptischen Göttin kochen zu lassen. Guten Tag.«
Die Tür fiel ins Schloß. Nebenan fuhr der Dean hoch. »Meine Güte, meine Güte! Jetzt fängt Bonaccord auch schon an«, murmelte er.
Der Psychiater seufzte. »Das war leider eine höchst unangenehme Szene für Sie, Miß MacNish.«
»Ich bin gegen Sir Lancelot abgehärtet, Herr Doktor. Manchmal gerät er aus ganz nichtigen Gründen völlig außer sich.« - »Wirklich? Wollen Sie sagen, daß er die Beherrschung verliert?« - »O ja. Er wird auch gewalttätig-«
»Tatsächlich? Das ist interessant. Sehr interessant. Irgendwelche andere Absonderlichkeiten?«
»Er hat so viele, wie ein altes Schaf Zecken.«
»Vielleicht hätte ich ihm doch Tranquilizer verordnen sollen«, sagte Dr. Bonaccord nachdenklich. »Zur Sicherheit für unsere Gegend.«
»Sie haben nichts gegen meine beiden Lieblinge, Herr Doktor?«
»Nicht das geringste. Ich glaube, Liebe zu Katzen zeugt von Kultur; Hunde sind eher etwas Vulgäres. Wissen Sie, daß man im alten Ägypten das Umbringen einer Katze mit dem Tod bestraft hat? Und für die Römer war die Katze das Symbol der Freiheit.«
»Wer hätte das gedacht, Herr Doktor?«
»Ich hoffe, Sie richten sich hier häuslich ein. Sie werden feststellen, daß unsere Wohnung im Oberstock fast genau der Wohnung entspricht, aus der Sie eben ein paar Häuser weiter ausgezogen sind.«
»Es tut mir leid, daß Mrs. Tennant meinetwegen die Unannehmlichkeiten des Übersiedelns auf sich nehmen mußte, Herr Doktor.«
»Es macht ihr sicher nichts aus. Sie ist mehr als glücklich, daß ihr jemand so Verläßlicher wie Sie die Haushaltspflichten abnimmt. Und ihr neues Schlafzimmer ist wirklich bequem.«
Dr. Bonaccord ging hinauf in sein eigenes Schlafzimmer, das in Weiß-Gold gehalten war. Auf dem Doppelbett saß Gisela mit angezogenen Beinen auf der flauschigen weiß-gold gesprenkelten Bettdecke und blätterte in den bunten Seiten eines pornographischen Magazins.
»Wo hast du denn das her, Cedric?«
»Das schwedische? Die Leute senden mir diese Sachen von Zeit zu Zeit ein, um meine Meinung als Psychiater darüber zu hören. Lehrer, Priester und ähnliche Leute. Die Seiten sind meist schon sehr abgegriffen.«
»Was hältst du davon ?«
»Oh, sieht ganz spaßig aus.«
»Aber meinst du, daß es einem Vergnügen macht?«
»Ich glaube nicht, daß es einem wirklich Vergnügen macht, auf Berge zu klettern. Aber es bietet eine reizvolle Abwechslung zum Alltäglichen, und das ist wichtig.«
»Ein Wunder, daß sie sich dabei kein Bein bricht.«
Er schloß die Schlafzimmertür, setzte sich neben sie und blätterte weiter. »Hast du es jemals so gemacht, Gissie?«
Sie kreischte kurz auf. »Natürlich nicht. Du vielleicht?«
»Ich glaube kaum, daß es viele Leute so gemacht haben. Man hat in einem modernen Haus nicht den Platz dazu und muß außerdem befürchten, daß die Nachbarn etwas hören. Alles, was in diesen Zeitschriften abgebildet ist, erregt die bunte Phantasie der Leser.« Er blätterte mehrere Seiten durch. »L’amour n’est que l’échange de deux fantaisies et le contact de deux épidermes.< Chamfort hat die Sache richtig gesehen. Gott sei Dank stehe ich über all diesen läppischen Selbsttäuschungen, Selbstzerfleischungen und Selbstverleugnungen, in denen sich andere Leute so genußvoll suhlen.
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