Wo geht's hier nach Arabien
Unterlagen darüber. Karajan kehrt im historischen » Palmyra Hotel« ein, mit Blick auf die Ruinen, so viel weià man. Kaiser Wilhelm war auch schon da. Wer heute dort absteigt, findet alles so vor, wie es damals war, nur etwas verfallener. Hat man ein wenig Geduld und ein bisschen Bakschisch übrig, kann man vielleicht noch eine der letzten Flaschen Rotwein erwerben, die man 1998 zum 100-jährigen Jubiläum der Orientreise des deutschen Kaisers in der Bekaa-Ebene produziert hat, ausschlieÃlich für das » Palmyra Hotel«.
Ãber die anwesenden Gäste beim Karajan-Konzert gibt es nur Spekulationen. Neben den wohlhabenden Damen und Herren aus Beirut und Umgebung könnten ohne Weiteres etliche Deutsche unter den Zuhörern gewesen sein. Nach 1945 flüchteten viele Nazis über die Alpen in den Süden Europas und von da nicht nach Südamerika, sondern nach Arabien. Bis zum heutigen Tag gibt es in Damaskus und Beirut Cliquen alter Nazis. In den sechziger Jahren müssen es noch Dutzende gewesen sein. Und vielleicht waren sie froh über ein paar Stunden deutscher Musik in der arabischen Wahlheimat. Welch schreckliche Vorstellung: Karajan dirigiert in Baalbek und trifft dabei alte Bekannte. Womöglich hat man sich in Paris zum letzten Mal gesehen. Genau, Dezember 1940! Oder war es im Mai 1941? Auf jeden Fall: » Schön, sich wiederzusehen!«
Unser Gerd: Auslandskorrespondent
Wo: Tahrirplatz, Kairo
Wann: Frühling 2011
Warum: schön essen gehen
E in früher Morgen in Deutschland: Jung und Alt stehen im Badezimmer, die Mamas werkeln in der Küche, und die Frühaufsteher stehen schon im Stau. Alle miteinander hören Radio. Es läuft das Guten-Morgen-Radio mit dem Gute-Laune-Programm, in dem das Guten-Morgen-Gaudi-Team die neuen Songs von Grönemeyer präsentiert und die alten von Lena oder umgekehrt. Aus aktuellem Anlass legen sie einen Oldie von Cat Stevens auf. Der Oldie darf aber auch nicht nur ein Oldie sein, sondern heiÃt » Golden Oldie« oder » Gute-Laune-Golden-Oldie«. Der Gute-Laune-Moderator erklärt uns, dass Cat Stevens schon lange zum Islam übergetreten sei, und die arabische Welt sei doch in diesen Tagen im Aufruhr, und irgendwie passe das doch ganz gut zusammen. Haha.
Cat Stevens und die Toten vom Tahrirplatz: total witzig, irgendwie. Wenn die Programmmacher ihr witziges Guten-Morgen-Programm zusammenstellen, denken sie sich was dabei. Was genau, weià man nicht.
Damit uns im Verlauf des Vormittags im Büro, in der Schule oder im Kinderabgaberaum des Kindergartens der Gesprächsstoff nicht ausgeht, werden wir gefüttert mit den sogenannten » News«.
Da ist das Pärchen, das beim Sex in der Kirchenbank erwischt wurde, hihi, wie peinlich, und das süÃe Meerschweinchen, das zu fett ist und schielt, hihi, wie süÃ, und das Gewinnspiel. Kreischende Frauen freuen sich über die VIP-Karten zum Champions-League-Finale oder den Hubschrauberflug mit Heidi Klum.
Und dann kommtâs: Wir sind live in Kairo. Demo am Tahrirplatz.Am anderen Ende der Leitung sitzt » unser Gerd«, der Auslandskorrespondent. Jetzt ist Schluss mit lustig. Denn: » In der Nacht waren Schüsse zu hören.«
Schüsse! Das ist der absolute Grusel!
Seit es die sogenannte Liveschalte zu Korrespondenten in Krisengebieten gibt, sind in der Nacht Schüsse zu hören. Eine Staatskrise, in der nachts keine Schüsse zu hören sind, ist keine Krise. Ohne nächtliche Schüsse keine Ãbertragung.
» Hallo, Gerd. Was kannst du uns über die Lage sagen?«
Die Wahrheit wäre: nichts.
Denn unser Gerd kennt niemanden, beobachtet nichts, und sein Wissen um die politischen Zusammenhänge ist eingeschränkt. Aber in der Nacht hat er Schüsse gehört.
Oliver Hahn, Julia Lönnendonker und Roland Schröder haben vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben: Deutsche Auslandskorrespondenten. Ein Handbuch. Herausgekommen ist, dass es der Auslandskorrespondent unglaublich schwer hat. Die Heimat interessiere sich nicht dafür, welche Arabergruppe welche Absichten aus welchem Grund hat. Aber wenn Frau Präsident ihre 2000 Paar Schuhe aus dem von Revolutionären eingeschlossenen Präsidentenpalast rettet, darf man schon mal in die Hauptnachrichten.AuÃer der Bericht dauert länger als eine Minute 30. Denn für Nachrichten, die länger als 90 Sekunden dauern, sind wir zu blöd. Das ist zwar
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