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Wo geht's hier nach Arabien

Titel: Wo geht's hier nach Arabien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Springer
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wissenschaftlich nicht bewiesen, aber der Chefredakteur glaubt es. Und noch mehr glaubt er an die sogenannte Quote. Eine » geile Quote« ist, wenn viele glotzen. Wenn niemand schaut, ist die Sendung weg.
    Unser Gerd ist hin- und hergerissen. Mit seinem öffentlich-rechtlichen Honorar lebt es sich ganz gut in Kairo. Einmal im halben Jahr produziert er einen kleinen Beitrag für eine Sendung, die spät nachts gesendet wird und niemand schaut. Ansonsten hat er als deutscher Journalist permanent freien Eintritt ans Büfett, von der Einweihung der neuen Universität bis zum Empfang beim Minister für irgendwas. Und wenn er wieder einmal eine Meldung viel zu spät nach Deutschland übermittelt und alle schon längst wissen, was er jetzt endlich auch weiß, hat er immer eine gute Ausrede. Es ist ja Diktatur! Die Sicherheitsdienste hätten den Informationsfluss eingeschränkt, und die Leute auf der Straße trauten sich nichts zu sagen.
    Um dieses Problem zu lösen, hat der Journalismus ein Wort erfunden: Recherche.
    Plötzlich ist Demo in Arabien. Wer hätte das gedacht. Unser Gerd hat nun die Chance, berühmt zu werden und sich einzureihen in die großen Namen der Kriegsreporter. Peter Arnett, Ernest Hemingway, Peter Scholl-Latour und natürlich die unvermeidliche Antonia Rados. Wo Krieg ist, ist Antonia. Oder umgekehrt?
    Sie war Frau des Jahres in Österreich und weiß, wie man mit Taliban Quote macht. Bereits im Ersten Weltkrieg gab es eine Frau im Männerberuf Kriegsreporter: Alice Schalek. Aber sie berichtete so kriegsverherrlichend, dass ihr sogar Karl Kraus in seinem berühmten Werk Die letzten Tage der Menschheit ein unrühmliches Denkmal setzte.
    Ein Mann der ersten Stunde war auch Gerhard Konzelmann. 1968 wurde er als junger Mann, der sein Studium abgebrochen hatte, für die ARD Korrespondent in Arabien. Eigentlich wollte er Komponist werden, was dazu führte, dass er später seine Filmchen selbst vertonte. Über Jahrzehnte hinweg galt er neben Scholl-Latour als der absolute Experte für den Nahostkonflikt. Heute weiß man, dass er nicht halb so viel wusste, wie für eine seriöse Berichterstattung nötig gewesen wäre.
    In den neunziger Jahren lernte ich in Damaskus einen jungen Mann kennen. Sehr gebildet und vielsprachig, aber eigentlich sollte er das Süßwarengeschäft seines Vaters übernehmen. Er fragte mich, ob ich » Gunzelmahn« kenne, er sei sein Übersetzer, wenn » Gunzelmahn« sich in Syrien aufhalte. Wie, Übersetzer? Ja, ob ich das denn nicht wisse, » Gunzelmahn« könne kein Wort Arabisch.
    Gerhard Konzelmanns Bücher lesen sich anders. Der viel zu früh verstorbene Orientalist Gernot Rotter traute sich endlich aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft und wandte sich lautstark an die Öffentlichkeit. Er schrieb über Konzelmann das Buch Allahs Plagiator, eine satirische Anspielung auf Konzelmanns Bestseller Mohammed, Allahs Prophet und Feldherr. Es stellte sich heraus, dass der Nahostexperte Konzelmann, der als Moderator des Weltspiegel ein richtiger Promi geworden war und mit seinen Büchern Millionenauflage machte, nicht einmal fundiertes Grundwissen besaß. In seinen Büchern war fast alles von anderen abgeschrieben. Deutschland hatte nach Hitlers Tagebüchern seine zweite große Plagiatsaffäre.
    Unser Gerd sitzt während der Demonstrationen in einem der höheren Stockwerke eines Kairoer Hochhauses, in dem auch andere Korrespondenten hocken, und starrt aus seinem klimatisierten Zimmer durch ein Fenster, das sich nicht öffnen lässt, hinunter auf das Geschehen, das die arabische Welt verändern wird. In der Liveschalte wird er von der neugierigen Radiomoderatorin gefragt, was die Leute denn rufen. Es entsteht eine kurze Pause, » Ja, sie rufen etwas.« Die Moderatorin lässt nicht locker und will für sich und ihre Zuhörer gerne wissen, was sie denn rufen.
    Â» Ich bin leider zu weit weg, um es zu verstehen.«
    Unser Gerd hat da etwas gründlich missverstanden mit dem Beruf des Journalisten. Da gehört es durchaus dazu, sein Hotelzimmer zu verlassen, den Knopf am Lift zu drücken, in das Erdgeschoss hinunterzufahren, um dann jemanden, der sich auskennt, zu fragen: » Was rufen die Leute?« Beispielsweise.
    Unser Gerd fährt dann auch hektisch hinunter. Aber erst in dem Augenblick, als Guido Westerwelle am Tahrirplatz auftaucht. Da ist die

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