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Wo geht's hier nach Arabien

Titel: Wo geht's hier nach Arabien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Springer
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lässt sich von seiner Ehefrau scheiden, heiratet Clärenore, bekommt mit ihr drei Kinder, und sie leben glücklich bis ans Lebensende zusammen auf einem Gutshof in Schweden.
    Der romantische Ausgang der gemeinsamen Autofahrt kann nur einen Grund haben: Im Jahr 1927 war die Autowelt noch eine andere. Knöllchen und Radarüberwachung sind noch in weiter Ferne. Und zwischen Beirut und Bagdad schert sich auch noch niemand um Überholspuren, Tempolimits und bedächtiges Rückwärtsschauen beim Spurwechsel. Die übrigen Verkehrsteilnehmer sind keine schläfrigen Sonntagsfahrer oder rücksichtslose Porsche-Rambos, sondern störrische Esel, ein paar Fußgänger und ab und zu ein Kamel. Clärenore Stinnes ist 26 Jahre alt und spinnt. Sie will die erste Frau sein, die mit dem Auto um die Welt fährt. Verbieten kann es ihr niemand. Im Gegenteil, die Presse giert nach der Story, denn Clärenore ist keine Unbekannte.
    Ihr Vater ist Hugo Stinnes, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Deutschen Reich nach dem Ersten Weltkrieg. Der Bergbau hat ihn groß gemacht, die Inflation am Beginn der zwanziger Jahre übersteht er unbeschadet, man nennt ihn den » Inflationskönig«. Ihm gehören die größten Industriekonzerne von Deutschland, die Hugo Stinnes GmbH importiert und exportiert, das Holz lässt er aus Russland kommen, das Eisenerz aus Schweden, gegen eine Ausweitung Deutschlands nach Osten hätte er nichts einzuwenden (diese Idee wird dann ja bald in die Tat umgesetzt). Als Politiker sitzt er im Reichstag, und das TIME-Magazine bezeichnet ihn als der » Neue Kaiser von Deutschland«. Wenn uns heute die Stromrechnung ins Haus flattert, steckt meist Hugo Stinnes dahinter: Er hat den Stromgiganten RWE gegründet. Als er 1924 nach einer Operation stirbt, hinterlässt er weltweit 4500 Betriebe .
    Als drittes von sieben Kindern wird in Mülheim an der Ruhr Clärenore geboren. Sie hat zwar Kohle ohne Ende, aber keinen Bock auf das bürgerliche Leben einer Industriellenfamilie. Sie trägt lieber Hosen statt Pelz, raucht wie ein Schlot und liebt schnelle Autos. Aber erst nach dem Tod von Papa lässt sie es richtig krachen. Sie wird Rennfahrerin.
    Kein Rennen lässt sie aus, manchmal meldet sie sich unter falschem Namen an, um teilnehmen zu dürfen. Andere Mädchen lassen sich am Wochenende schick im Kleidchen ausführen, die Industriellentochter hängt ölverschmiert über Motoren und fährt jeden Sonntag ein anderes Rennen. Als einzige Frau unter 52 Männern rast sie durch Russland und landet in ihrer Kategorie auf Platz 1. Von Mama lässt sie sich nicht abhalten, schließlich ist die schon seit 1903 Mitglied in einem Automobilclub. Als erste Frau im Auto um die ganze Welt, diese Idee kommt außerhalb der Familie überall großartig an. Die Industrie lässt sich nicht lumpen und steckt dem jungen Mädel 100 000 Reichsmark in die Taschen, aus Frankfurt kommt ein » Standard 6« frisch aus den Adler-Werken. Natürlich mit der modernsten Sonderausstattung. Sitzheizung und elektrische Fensterheber hat er noch nicht, dafür Liegesitze. Für das neueste Adler-Modell kann es keine bessere Werbung geben als eine Weltreise. Schließlich wird alles mitgefilmt. Der Kameramann Carl-Axel Söderström wird als Begleiter ausgewählt, weil er sich schon in den Stummfilmen mit Greta Garbo und bei der Wochenschau bewährt hat. In Wahrheit fällt die Wahl auf ihn, weil er verheiratet ist und somit eine Liaison von vornherein ausgeschlossen werden kann. Was für ein dämlicher Gedanke!
    Während der Vorbereitungen werden weltweit die Diplomaten über die Fahrt informiert, unzählige Benzindepots werden angelegt, die Reiseroute wird veröffentlicht: Frankfurt– Wien– Budapest– Damaskus– Teheran– Moskau– Baikalsee– Wüste Gobi– Peking– Tokio– San Francisco– Lima– Buenos Aires– Detroit– New York– Le Havre– Berlin.
    Am 27. Mai 1927 dreht Clärenore den Zündschlüssel um, und unter dem Jubel der Zuschauer verlassen sie Frankfurt. Enorme Anstrengungen warten auf sie. Schlaglöcher, wilde Tiere, fremde Völker, Kälte, Hitze, da kommt es nicht mehr auf das Einparken an. Bevor sie aber zu den wilden Tieren und Völkern und Abenteuern kommen, gibt es schon nach ein paar läppischen 100 Kilometern die erste Zwangspause.

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