Wo ist Thursday Next?
den Tisch.
Seine Augenbraue wanderte von »erstaunt« über »nachdenklich« zu »beunruhigt«. »Das erklärt vielleicht, warum ich der Steinigung heute Mittag so leicht entkommen bin.«
»Und warum uns der Lyrik-Grenzer hat laufen lassen.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Da haben Sie wohl von Toastern geträumt. Können Sie bitte im Jurisfiktion-Hauptquartier anrufen und nach Thursday Next fragen? Sagen Sie, ich müsste mal mit ihr reden.«
Sprockett ging in die Ecke, um den Anruf für mich zu erledigen. Es war besser, wenn eine solche Anfrage von meinem Butler kam, das wirkte irgendwie offizieller.
»Es heißt, sie wäre auf einer Dienstreise«, rief Sprockett, nachdem er eine Minute leise in die Ecke gesprochen hatte.
»Sagen Sie, ich würde noch einmal anrufen.«
Ich fragte mich, wie Thursday ohne ihren Dienstausweis auf Dienstreise gehen konnte. Ohne weiter nachzudenken, schlug ich die Zeitung auf und wäre fast aus dem Sessel gefallen.
Berühmte Jurisfiktion-Agentin als Vermittlerin bei den Friedensgesprächen
stand da als Hauptschlagzeile auf der zweiten Seite, gleich neben dem Nackedei auf der Seite drei. Man sollte die Zeitung eben doch nicht nur wegen des Wetters anschauen, dachte ich mir im Stillen. Wenn Thursday am Freitag bei den Friedensgesprächen Verhandlungsleiterin sein sollte, nahm ihre plötzliche »Abwesenheit« einen ziemlich bedrohlichen Aspekt an. Wenn sie wirklich verschwunden war, standen womöglich sehr böse Dinge bevor.
In den vergangenen drei Jahren hatten die Scharfen Romane und ihr Anführer Speedy Muffler eine Menge Ärger gemacht. Weit mehr als ihre Größe, Leserschaft oder Bedeutung gerechtfertigt hätten. Eingeklemmt zwischen der FemLit, Religiösem Dogma, Erotika und Comedy, hatte das anarchische Genre ständig für Spannung gesorgt, und das besonders, seit es mit den Elendsmemoiren und den Prominentenbiografien zur »Achse der Unlesbarkeiten« gezählt wurde. Um den beleidigenden Vergleich mit dem exhibitionistischen Gejammer der Opfer und den bedeutungslosen Pseudo-Abenteuern der Promis zu kompensieren, beschloss Muffler, sein Gebiet auszudehnen. Der GattungsRat reagierte damit, dass er
Lady Chatterleys Liebhaber
aus den Scharfen Romanen ins Menschliche Drama versetzte und
Tom Jones
der Erotik zuschlug. Weitere Sanktionen folgten, so wurde unter anderem ein Handelsembargo verhängt, das die Lieferung von guten Dialogen, Handlung oder Charakterzeichnung an die Scharfen Romane verbot.
Damit eskalierte die Lage natürlich bloß. Speedy Muffler erklärte,diese Sanktionen dienten nur dazu, die Gattung an ihrer Entwicklung zu hindern, was gegen die Verfassung der BuchWelt und gegen die Figurenrechte verstoße. Das konnte man schon deshalb nicht ignorieren, weil die Scharfen Romane zu den wichtigsten Metaphernproduzenten und -exporteuren gehörten. Aber erst als Muffler bekanntgab, er verfüge jetzt über eine »Schmutzige Bombe«, die in der gesamten FemLit und auch im Religiösen Dogma überflüssige Sex-Szenen verteilen könnte, wurde die BuchWelt hellhörig. Der GattungsRat musste schleunigst Friedensgespräche in Gang bringen.
Dass Thursday Next als Vermittlerin auftreten sollte, hatte ich bisher allerdings nicht gewusst. Andererseits war es nur logisch. Sie hatte sich schon einmal bewährt, als die Skandinavischen Polizeiromane angekündigt hatten, sie würden die Krimis verlassen, wenn man ihnen keine Extraportion nordische Schwermut und sechs Wochen Urlaub am Mittelmeer garantierte.
»Sie scheinen besorgt«, sagte Sprockett. »Gibt es Probleme?«
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass die echte Thursday Next verschwunden ist«, sagte ich vorsichtig.
»Ist sie früher schon einmal verschwunden?«, fragte Sprockett.
»Ja, oft.«
»Dann ist es vielleicht wieder nur eins von diesen … Vorkommnissen.«
Ich hoffte zwar sehr, dass er recht hatte, aber ich wusste auch nicht, was ich hätte tun sollen, wenn es nicht so gewesen wäre. Ich war eine zu wenig gelesene A 8-Figur ohne jeglichen Einfluss. Und Jurisfiktion kümmerte sich wahrscheinlich schon um die Sache. Commander Bradshaw, der Leiter der Jurisfiktion, war schließlich einer von Thursdays engsten Freunden.
Es klopfte an der Tür und Mrs Malaprop trat ein. »Miss Next? Da sind ein Patsch! Entelmenn, die Sie sprechen wollen.«
»Wer sind sie denn?«
»Ihren Amen haben sie nicht gesagt.«
Und sie warteten auch nicht an der Tür, sondern kamen einfach hereinmarschiert. Sie gehörten nicht zu
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