Wo mein Herz wohnt: Mittsommergeheimnis (German Edition)
irgendwann. “Bist du so nervös wegen der Anhörung?” Er lächelte schief. “Keine Angst, es wird schon schiefgehen.”
“Und was, wenn der Richter den Bjorkmans recht gibt und uns Linus wegnimmt?” Finja kämpfte auf einmal mit den Tränen. “Ich hätte dem Kleinen nie versprechen dürfen, dass er bei uns bleiben darf! Wenn er zu seinen Großeltern muss …”
“Wenn, wenn, wenn …” Sander ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. “Mats und Sybilla Bjorkman sind nicht geeignet, ein sensibles Kind wie Linus großzuziehen, das erkennt selbst ein Blinder. Der Richter kann gar nicht anders, als uns recht zu geben, du wirst schon sehen. Außerdem geht es heute nur um die Frage, bei wem der Junge bis zur endgültigen Entscheidung untergebracht werden soll.”
“Ich wünschte, ich könnte ebenso viel Zuversicht empfinden wie du.” Sie atmete tief durch. “Können wir los? Ich halte dieses untätige Herumsitzen einfach nicht mehr aus.”
Das Vormundschaftsgericht befand sich im historischen Stadtzentrum, in einem roten Backsteingebäude mit Treppengiebel und einem großen Erker im ersten Obergeschoss. Finja klopfte das Herz bis zum Hals, als sie bereits von Weitem Mats und Sibylla bemerkte, die in Begleitung ihres Anwalts vor dem Haus auf dem Gehweg standen.
Als sie Finja und Sander erblickte, kniff Sybilla Bjorkman die Augen zusammen. “Na, wen haben wir denn da? Verzeih mir meine Offenheit, meine Liebe, aber du siehst schrecklich aus. Warum gestehst du dir nicht einfach ein, dass du mit der Erziehung des Jungen völlig überfordert bist, und ziehst endlich die Konsequenzen?”
Wütend funkelte Finja sie an und wollte etwas Schroffes erwidern, beherrschte sich dann aber und blieb förmlich. “Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber Linus hat sich wunderbar bei uns eingelebt. Wir kommen sehr gut miteinander zurecht. Er fühlt sich wohl bei uns – und genau das werden wir dem Richter gleich auch darlegen.”
Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, den Bjorkmans die Stirn zu bieten. Fest stand, dass sie sich in diesem Moment so voller vibrierender Energie fühlte wie schon seit Wochen nicht mehr.
“Aber, aber, meine Damen”, schaltete sich der Anwalt der Bjorkmans ein. Finja und Sander hatten darauf verzichtet, sich von einem Rechtsbeistand begleiten zu lassen, da es sich nur um eine Anhörung handelte. “Wir wollen doch friedlich bleiben, nicht wahr? Bei wem der Junge bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts bleibt, wird der Vormundschaftsrichter im Sinne des Kindes entscheiden. Beide Parteien werden ausreichend Gelegenheit erhalten, ihre Positionen darzulegen – und zwar schon in ein paar Minuten.” Er wandte sich an die Bjorkmans. “Kommen Sie?”
Das Büro des Richters befand sich in einem großen hellen Raum im ersten Stockwerk des Hauses. Der Richter selbst war ein hünenhafter breitschultriger Mann um die sechzig, dessen flachsblondes Haar von silbergrauen Strähnen durchzogen war. Er trug eine rahmenlose Brille, über deren Rand er sie jetzt einer nach dem anderen eindringlich musterte. Dann begrüßte er sie mit einem Kopfnicken und bat sie, auf den bereitgestellten Stühlen Platz zu nehmen. Er selbst blieb dagegen hinter seinem Schreibtisch sitzen, der in dem Erker stand, den Finja von draußen bereits bemerkt hatte.
“Mein Name ist Gunnar Dingård”, stellte er sich vor. Seine Stimme klang angenehm tief und volltönend. “Ich bin als Richter vom Vormundschaftsgericht bestellt worden, um heute über die Unterbringung des kleinen Linus Bjorkman bis zur endgültigen Sorgerechtsentscheidung zu entscheiden. Mir liegt ein Antrag der Großeltern Sybilla und Mats Bjorkman vor.”
“Der Kleine muss unbedingt zu uns!”, polterte Mats Bjorkman sofort los. Er sprang auf, setzte sich aber gleich wieder, als seine Frau kräftig am Ärmel seines Jacketts zog. “Ich meine ja bloß … Er ist doch immerhin unser Enkel, nicht wahr?”
Richter Dingård hob eine Braue. “Gut, kommen wir gleich zum Thema. Eine Frage, die sich mir sogleich gestellt hat, als ich Ihren Antrag durchlas, war: Wenn die Eheleute Sommerdal so wenig geeignet sind, die Elternrolle für den kleinen Linus zu übernehmen – warum haben Ihre Tochter und Ihr Schwager dann testamentarisch verfügt, dass der Junge zu ihnen soll?”
Finja hätte den Mann umarmen mögen. Sie schaute Sander, der neben ihr saß, an – und auch er wirkte vorsichtig optimistisch. Eines zumindest stand fest: Richter
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