Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Sophie hervor, obwohl sie am liebsten ihr Gesicht von der Kerze weggerissen hätte. »Werden in diesem Teil von Russland alle Gäste so begrüßt?«
»Wir lange Zeit gewartet jemand wie dich begrüßen. Niemand kommt zum Palast, nie«, sagte Mascha und runzelte die Stirn. »Bis Frau oben gekommen.« Sie hielt kurz inne und fügte lächelnd hinzu: »Und jetzt du bist gekommen in Palast. Wir so glücklich!«
Eine Tür auf der anderen Seite der Küche krachte auf. Dimitri wankte herein, eine Hand um die andere verkrampft, und schrie auf Russisch nach etwas. Er ließ sich auf einen Schemel fallen, und Sophie sog die Luft ein, als sie sah, dass seine Hand blutete.
Mascha sprang kreischend auf und riss ein Stück Leinen vom Nähstapel ihrer Mutter. Die zog schnell eine Schüssel von einem Regal herunter und goss Wasser hinein, das teilweise auf den Boden spritzte.
Dimitri stieß immer wieder dieselben Worte hervor. »Pamada! Pamada!«
Ruhig und gefasst stellte seine Mutter eine kleine Schale Fett – pamada ? – vor ihn hin und wusch die Wunde aus, die sehr tief und eingerissen aussah, wie von einem Biss. Dimitri zuckte zusammen, als sie ihre Finger in das Fett tunkte und es auf der Wunde verteilte. Dann wickelte sie seine Hand fest in sauberes Leinen ein.
Dimitri biss während der ganzen Prozedur die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich. Dann umfasste er die bandagierte Hand mit der anderen und endlich nahm er seine Umgebung wahr. Als er Sophie sah, fuhr er zusammen.
»Du?«, sagte er. »Hier?«
Er schaute zu Mascha hoch, die neben ihm stand, ihren Arm schützend um ihn gelegt. Sophie sah, wie die kleine Narbe auf seiner Wange zuckte.
»Da«, erwiderte sie einfach.
Er schüttelte den Kopf.
Dann kam seine Mutter zu ihm herüber, zog ihm die Schaffellmütze herunter und küsste ihn auf den Kopf. Dimitri schüttelte sie knurrend ab, aber sie lachte nur und küsste ihn gleich noch mal.
»Mein Bruder, Dimitri«, sagte Mascha stolz und zärtlich.
»Ist er in Ordnung?«, fragte Sophie und schaute den Jungen an. Er war kreideweiß im Gesicht.
»Dimitri tapfer!«, verkündete Mascha. »Er keine Angst hat vor nix!«
Dimitri zog eine Grimasse, als sei es ihm peinlich, dass seine Schwester so mit ihm prahlte. Aber insgeheim war er stolz auf das Lob, das spürte Sophie. Seine Mutter schöpfte Borschtsch aus einem kleinen Topf in eine Schale und stellte sie mit einem Stück Brot vor Dimitri auf den Tisch. Dann brach sie das Brot für ihn in Stücke und er nahm den Löffel in seine unversehrte Hand.
»Na ja, zumindest kennt er ein paar tolle Verstecke«, erwiderte Sophie lächelnd.
Dimitri schaute von seiner Suppe auf, und der Löffel blieb auf halbem Weg zwischen der Suppenschale und seinem Mund stehen. Lächelnd erwiderte er Sophies Blick.
»Dimitri macht viele, viele Sachen …« Mascha richtete sich kerzengerade auf. »Er sehr wichtig!«
Dimitri schüttelte verlegen den Kopf, stieß seine Schwester mit dem Ellbogen an und wurde feuerrot. Er warf Sophie noch einen raschen Blick zu, dann beugte er sich wieder über seine Suppe.
»Er hackt Holz«, prahlte Mascha. »Und so schnell! Und er putzt Viflijanka. Er füttert …«
Dimitri schnalzte missbilligend mit der Zunge, und Mascha schlug sich die Hand auf den Mund und wurde jetzt auch rot.
»Sie hat Frau oben gesagt, dass sie einen Wolf gesehen hat«, sagte Dimitri stirnrunzelnd.
»Einen weißen Wolf!«, stieß Sophie hervor. »Er war heute im Wald.« Verlegen hielt sie inne. »Ich hatte solche Angst«, wisperte sie. »Ich habe geschrien, aber keiner hat mir geglaubt.«
Mascha wechselte einen Blick mit Dimitri und Sophie biss sich auf die Zunge. Warum musste sie dem Jungen erzählen, wie viel Angst sie gehabt hatte?
»Ich dachte, der Wolf würde Viflijanka angreifen …« Die Worte purzelten aus ihr heraus, ehe sie sich bremsen konnte. Erschrocken verstummte sie und holte tief Luft, dann schaute sie Dimitri und Mascha an. Dass die beiden Geschwister waren, sah man sofort: die Form ihres Kinns, die geblähten Nasenflügel und die ernsten, intelligenten Augen.
Dimitri nickte langsam. »Sie hat es Frau oben gesagt! Und ich muss Kronleuchter sauber machen.«
Sophie starrte auf ihre Hände. »Die Prinzessin hat gesagt, es gibt keine Wölfe im Wald, dafür hätte sie gesorgt.«
Dimitri lehnte sich zurück und legte seine bandagierte Hand auf den Tisch. Seine Mutter goss Kirschsaft in drei Becher, dann setzte sie sich neben Mascha und lächelte ihre
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