Wo Tiger zu Hause sind
als Werkzeug auserkoren, um die Hieroglyphen zu entziffern –, doch richtet sich unsere Aufmerksamkeit besonders auf die tiefe Demut dieses Textes. Nichts ist schöner als diese Geständnisse, nichts schöner als die beständig beschworene Liebe zur Heiligen Jungfrau, nichts rührender als die gelassene Betrachtung der Jugend & seiner Vergangenheit aus der Perspektive eines Mannes an der Schwelle zum Tode …
Wer diese Bekenntnisse gelesen hat, der, ich wiederhole es, wird mir durchaus nicht vorwerfen, ich übertriebe ihre Schönheiten; derjenige kennt das sublime Gebet an ihrem Ende & rechnet es gewiss unter die schönsten Worte, die je zu Ehren unserer Heiligen Mutter gesagt wurden. Was er jedoch nicht wissen kann, ist, dass Kircher dies Glaubensbekenntnis mit seinem eigenen Blute schrieb, auf dass man es nach seinem Tode an der Statue der Santa Vergine della Mentorella befestige, als Zeichen seiner Liebe & Dankbarkeit … Angesichts dieser purpurnen Zeilen knie man nieder, wie ich selbst es getan! Und das Blut, welches mein Meister vergossen zum Zeugnis seines Glaubens, es diene den Lauen als Beispiel, jenen, deren Herz Tag um Tag weiter erkaltet in der Art erstarrender Lava.
Zu Beginn des Jahres 1679 erschien dann endlich in Amsterdam des Athanasius’ letztes Werk,
Turris Babel
. Seiner ursprünglichen Absicht gemäß führte Kircher in diesem Buch die in der
Arca Noë
breit angelegten Studien fort. Zum ersten Male gab er hier zahlreiche Bilder von den architektonischen Wundern der Alten Welt & führte den mathematischen Beweis, dass der Turmbau zu Babel niemals den Mond hätte erreichen können, womit er auch zeigte, dass seine Zerstörung eher der Hybris der Erbauer zuzuschreiben war denn dem göttlichen Willen.
Nach allerlei brieflichen Disputen mit dem Franzosen Jacob Spon bezüglich des Wortes, welches man zur Bezeichnung der Wissenschaft von den Ursprüngen verwenden solle, beschloss Kircher, von
Archontologie
zu sprechen; Jacob Spon votierte für
Archäologie
, doch befand mein Meister zu Recht, dass dies Wort die politische & religiöse Geschichte nicht hinreichend berücksichtige & folglich keinerlei Chance hätte, in der Zukunft verwendet zu werden.
Ausgerechnet in der Zeit, da dieses Werk allenthalben nichts als Bewunderung & Zustimmung hervorrief, ging es mit Athanasius’ Gesundheit jäh bergab. Sein Leib war stets robust gewesen & widerstand den Unbilden des Alters recht gut, doch sein immer häufiger auftretendes & immer unerträglicher werdendes Kopfweh gab den Ärzten allerlei Rätsel auf.
»Als würde mein Denken den Kopf von innen her auffressen …«, gestand Kircher mir eines Abends, da er mich an sein Lager hatte rufen lassen. »Verstehst du, Caspar, mein Denken!, meine Seele selbst! Sie ist wie ein kleines, gefangenes Tierchen, das an den Gitterstäben seines Gefängnisses nagt, um zu zerstören, was es erstickt & es hindert, seine Freiheit schneller zu erlangen. Es interessiert sich nur noch für das Jetzt; es hat alles Frühere vergessen & erwartet von den künftigen Tagen nur noch, möglichst rasch vor Gott den Herrn zu treten …«
Erschrocken darob, wie ernst meinem Meister dieser Vergleich zu sein schien, suchte ich ihn zu beruhigen, indem ich sein Leiden auf einfache physische Ursachen zurückführte: Die Seele sei von Natur aus ungreifbar, ebenso diffus & flüchtig wie der Geist, dem sie entstamme; sie könne daher den Körper nicht so unmittelbar angreifen.
»Bist du dessen wirklich sicher?«, entgegnete mein Meister mit einem Hauch Bitterkeit. »Wir sind Geschöpfe, & als solche besitzen wir nichts essenziell Göttliches denn durch Analogie. Analogie, Caspar! In dem Samen, aus dem wir stammen, wohnt etwas vom universellen Samen, von jener Panspermie, welche die Welt belebt, doch benötigt dies Mysterium, so ungreifbar es auch sein mag, ein noch so geringes Quantum an Materie, um existieren zu können … Dieser universelle Samen – den ich
Primigenia lux
nennen möchte oder ›gezeugtes ursprüngliches Licht‹ – besitzt magnetische & samengleiche Eigenschaften. Je nach Anordnung & den winzig kleinen Veränderungen seines Stoffes organisiert er alles, gestaltet die Formen der Dinge, belebt, unterhält, nährt und bewahrt er sie. Im Stein ist er Stein, in der Pflanze ist er Pflanze, Tier im Tiere, Element in den Elementen, Himmel in den Himmeln, Stern im Sterne; er ist ein Jegliches gemäß der Art des Jeglichen, und auf höherer Ebene ist er
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