Wo Träume im Wind verwehen
Schwager, der Widerling, den Joe vor einer Woche mit Skye in der Bar gesehen hatte, prallte zuerst gegen Joe und dann gegen Caroline. Dem Kerl sah man schon von weitem an, dass er an der Flasche hing und Drogen nahm. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, die junge Frau zu betatschen, mit der er tanzte, sodass er seine Ungeschicklichkeit nicht bemerkte.
»Oh«, sagte die Aushilfskellnerin, als sie Caroline gewahrte.
»Wo ist Skye?«, fragte Caroline Simon, die Frau ignorierend.
»Macht einen Spaziergang«, antwortete Simon, die Zigarette noch immer im Mundwinkel. Joe hätte sie ihm am liebsten in den Hals gerammt und ihm gesagt, es sei bekömmlicher für ihn, sich schleunigst auf die Suche nach seiner Frau zu begeben.
»Dora, hast du keine Arbeit?« Caroline vermochte ihre Wut kaum zu zügeln.
»Tut mir Leid«, sagte Dora und verließ im Eilschritt die Tanzfläche.
»Ich mache mir Sorgen um Skye«, sagte Caroline zu Simon. »Komm mit, wir suchen sie.«
»Ich bin nicht ihr Kindermädchen, und du bist es auch nicht«, protestierte Simon, wobei er die Kellnerin im Auge behielt.
»Trotzdem sollten Sie Ihre Frau suchen«, mischte sich Joe ein. »Vor allem, wenn Ihre Schwägerin Sie darum bittet.«
»Wer zum Teufel …« Simons Muskelstränge am Hals schwollen vor Wut an. Sein Blick war verschlagen. Er war eine Ratte, und Joe brauchte wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass er Skye schlug. Wortlos schob sich Joe zwischen Simon und Caroline.
»Du sollst doch nur schauen, wo sie ist, Simon! In Ordnung?«, fragte Caroline angespannt.
»Toll.« Er warf seine Zigarette auf den Boden, machte auf dem Absatz kehrt und ließ die glimmende Kippe zurück. Caroline blickte Joe entschuldigend an und folgte ihm. Joe hob die Zigarette auf und drückte sie in einem Aschenbecher auf dem Tresen aus. Er sah Caroline nach, dann schlug er die entgegengesetzte Richtung ein, um Skye zu suchen.
Der Baumstamm erstreckte sich über den ganzen Fluss. Er lag schon seit langem dort. Zweige, Vogelfedern und Schutt hatten sich in dem zersplitterten Geäst verfangen, das an einem Ende aus dem Wasser ragte. Der Fluss wälzte sich unter dem Baumstamm dahin, träge und schwarzgrün, bevor er breiter wurde und in den Connecticut River mündete. Kiefern säumten die Böschung, während Riedgräser am anderen Ufer raschelten.
Skye stand auf dem einen Ende des Baumstamms. Eine leichte Brise kitzelte ihre nackten Beine. Sie beobachtete die Strömung des Flusses. Ein Fisch tauchte an der Oberfläche auf und hinterließ Kreise im dunklen Gewässer. Skye betrachtete die Kreise, an einen anderen Abend und ein anderes Flussufer denkend, zweihundert Meilen nördlich von hier. Die Sterne am Himmel über den sanften Hügeln hatten gefunkelt. Ihr Vater hatte sie in der Wildnis ausgesetzt, hungrig, damit sie ihr Abendessen selbst jagten. Sie hatte mit dem Messer einen Stock zugespitzt und lautlos in den Binsen gewartet.
Der Frosch war fett gewesen. Sie wusste, dass sie ihn töten musste. Sie stach zu, spießte seinen Körper auf, dessen Fleisch so weiß war wie der Mond. Ihr Vater hatte ihr gezeigt, wie man ein Feuer entzündet, und ihr erklärt, dass zwischen der Zubereitung von Fröschen und Fischen kein Unterschied bestehe. Aber dem war nicht so. Der dicke Frosch hatte schläfrige Augen und ein breites Maul, das aussah, als würde er lächeln. Nachdem sie ihn durchbohrt hatte, zuckte er und schnappte nach Luft. Obwohl sie geschwächt war vor Hunger, hatte sie keinen Bissen runtergebracht. Sie hatte für nichts und wieder nichts ein Tier getötet.
»Nicht zum letzten Mal«, sagte sie laut.
Dunst hing über dem Fluss, und Skye balancierte auf dem Baumstamm, die silberne Taschenflasche in der Hand haltend. Musik drang durch die Bäume herüber. Sie konnte sich beinahe vorstellen, im Ballett zu sein. Sie gehörte zum Ballett, stand auf einem Fuß, drehte eine Pirouette zur Musik und trank Wodka. Russischen Wodka, wie es sich für
Schwanensee
geziemte.
Feuerfliegen blinkten in den Bäumen. Sie trank noch einen Schluck. Wohl wissend, dass Caroline sich Sorgen machte und sie vom Trinken abbringen wollte, hatte sie sich vorsorglich ihre eigene Ration mitgebracht. Zum einen wollte sie ihre Schwester nicht in einen Gewissenskonflikt bringen, indem sie ihr Alkohol ausschenkte, der ihr nach Carolines Meinung schadete. Zum anderen wollte Skye nicht dabei beobachtet werden, wie sie aus dem Flachmann trank. Deshalb hatte sie sich in den Wald zurückgezogen,
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