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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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dringend etwas zu trinken. Sie blickte auf die Uhr, die auf ihrem Arbeitstisch stand – drei Uhr nachmittags. Sie schloss mit sich selbst einen Pakt. Nur noch zwei Stunden arbeiten, bis fünf, dann würde sie sich mit einem Glas Wein belohnen. Dagegen war nichts einzuwenden. Davon ging die Welt nicht unter.
    Simon trat ein. Er roch nach Zigaretten und Terpentin, und seine trüben Augen verrieten ihre eigene Trinkergeschichte. Er beugte sich über den vor Skye liegenden Ton und betrachtete ihn schweigend. Was mochte in seinem Kopf vorgehen, überlegte Skye. Wusste er, dass sie ein Problem hatte? Das Wort erstaunte sie, und sie fragte sich, wie sie darauf gekommen war, dass sie ein Problem haben könnte.
    »Wie läuft’s?« Simon schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank es in einem Zug leer.
    »Bestens.«
    »Deine Mutter ist unten und macht ein Riesengetue wegen ihres Kostüms.« Skye lächelte bei der Vorstellung. »Sie will wissen, was wir zu Carolines Ball anziehen. Sind wir überhaupt eingeladen?«
    »Natürlich. Wieso sollten wir nicht eingeladen sein?«
    »Weil sie mich hasst. Und weil sie neidisch auf dich ist.«
    Skye schüttelte den Kopf. Es machte sie traurig, wenn Simon Kritik an ihren Schwestern übte, und heute betrübten sie solche Spitzen besonders. Worauf sollte Caroline neidisch sein? Auf eine Bildhauerin, die aufgedunsen und ständig so verkatert war, dass sie ihr Handwerk nicht mehr beherrschte? Skye griff nach einem der Gegenstände, die auf dem Tisch lagen – ein flacher grauer Stein, eine schneeweiße Feder, das Gerippe einer Schlange, eine Patronenhülse und ein blassblaues und fadenscheiniges Seidenband.
    »Warum bewahrst du diesen Ramsch auf?« Simon nahm ihr den Stein aus der Hand. »Wir sind seit fünf Jahren verheiratet, und ich weiß kaum etwas von dir. Was hat es mit dieser Geheimniskrämerei auf sich? Sind das Familienfetische der Renwicks? Du sprichst nie darüber.«
    »Es sind nur Erinnerungsstücke, weiter nichts. Dinge, die man hin und wieder anschaut.«
    Simon starrte sie mit blutunterlaufenen, argwöhnischen Augen an. Das Leben – die alkoholischen Exzesse, die Welt der Kunst, der Versuch, Skye zu lieben – hatte seinen Tribut gefordert, und man sah es ihm an. Seine dunklen langen Haare waren strähnig und ungepflegt. Er schien sich zu einem Entschluss durchzuringen und gestattete ihr einen flüchtigen Blick auf die Gedanken, die in seinem Kopf umhergingen: Soll ich bleiben oder gehen? Simon spielte gerne Katz und Maus mit ihr. Und das Schlimme war, dass Skye sich zu ausgelaugt fühlte, um sich dagegen zu wehren.
    »Was ist hiermit?« Simon nahm die Patronenhülse in die Hand. »Warum hebst du sie auf?«
    »Um mich an eine Hirschkuh zu erinnern, die ich erlegt habe.« Skye sah die mondhelle Nacht auf dem Berg wieder vor sich, die Damhirschkuh, die gegen die Felswand geschleudert wurde, das schwarze Blut, das aus ihrer Kehle sickerte, das Geräusch der Hufe des verendenden Tiers, die im Todeskampf gegen den Felsblock trommelten. Das erste Wild, das sie geschossen hatte. Lange Zeit hatte allein der Anblick der Patronenhülse ihr die Tränen in die Augen getrieben.
    »Und das da?«, fragte er, die weiße Feder berührend.
    »Sie stammt von einem Schwan. Mein Vater hat allen dreien eine geschenkt, an dem Abend, als er uns in
Schwanensee
mitgenommen hat.«
    »Er gab euch Schwanenfedern.« Simon schürzte die Lippen, fasziniert von der Geschichte, die mehr über Hugh Renwick enthüllte, wie fragwürdig sie auch sein mochte.
    »Um uns an die Natur zu erinnern. Sie ist eine fantastische Quelle der Inspiration und der Liebe – sogar für Tschaikowsky.«
    »Ballettbesuch und Schwanenfedern. Nicht zu fassen.« Simon schüttelte den Kopf. »Und was hat es mit der Schlange auf sich?«
    »Die Schlange erinnert mich daran, dass überall Gefahren lauern. Und dass ich aufmerksam sein muss.«
    Sie starrte das Gerippe an. Lang und gekrümmt, war es der größte Gegenstand, der hier auf ihrem Tisch lag. Der Schädel war flach und dreieckig. Aus einer anderen Warte hätte man in ihr Maul schauen und ihre Fangzähne sehen können.
    »Ist das die Schlange, die dich erwischt hat?«
    »Nein. Aber sie schaute genauso aus.«
    Simon berührte Skyes Kopf. Seine Finger glitten durch ihr Haar und strichen es hinter die Ohren. Sie schloss die Augen und versuchte das Zittern zu unterdrücken, das ihren ganzen Körper ergriff. Sie erinnerte sich, wie sie in ihrem Zelt geschlafen hatte und abrupt

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