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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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unserer Geschichte aufs neue. Die Szenen erinnerten daran, was danach passiert war. Wieder einmal endete eine Liebe in Träumen, vielmehr zerbrach sie. Wobei sie natürlich unvergeßliche Ruinen hinterließ … Während die Sache immer auswegloser wurde, tat ich zusammen mit Niso das mir Mögliche. Als die Beziehung nach einer Weile bekannt wurde, kam von der Familie des Mädchens die erwartete Reaktion. Ein Grieche, noch dazu aus einer unbekannten Mischpoke, ein Grieche ohne Gut und Geld … Auch nur an so eine Möglichkeit zu denken bedeutete gegen den Strom zu schwimmen … Wir mußten aber auch Şelis Bemühungen würdigen. Denn sie widersetzte sich, zumindest am Anfang, mit aller Kraft und kämpfte um ihre Liebe, wobei sie sogar auf sich nahm, verletzt zu werden und zu verletzen … Das sei ihr Leben. Sie würde heiraten, weggehen und nur zurückkehren, wenn ihre Entscheidung akzeptiert würde … Ich sprach lange mit ihr über diese Trennung und die Gefühle, die damit verbunden waren. Das waren Dreiergespräche, an denen auch Niso teilnahm.
    Man mußte sich nicht sehr anstrengen, sich vorzustellen, was sie ertragen mußte. Wir liebten Yorgos sehr. Besonders nach dem, was er uns erzählt hatte, hatten wir ihn noch viel lieber. Wir wollten beide unterstützen. Was gab es in der Welt von jungen Menschen dieses Alters Heiligeres als die Liebe? Doch leider wußten wir auch, daß wir trotz aller Bemühungen diese Liebe nicht so beschützen konnten, wie es nötig gewesen wäre. Die Zeit zeigte uns, daß wir uns nicht geirrt hatten. Der Vater von Şeli ging in diesem Kampf so weit zu sagen: »Entweder er oder wir!« Das war seine äußerste Grenzlinie. Es gab kein Zugeständnis. Es gab kein weiteres Bemühen um Verständnis. Das Wörtchen ›wir‹ hingegen hatte verschiedene Bedeutungen. Jeder konnte daraus seine Schlüsse ziehen, je nachdem, von welcher Warte aus er persönlich und entsprechend seinen Befürchtungen das Leben betrachtete. Şeli hing sehr an ihrer Familie. Sie war dickköpfig, aufmüpfig, aber auch außerordentlich sensibel. Insofern konnte man sich leicht vorstellen, unter welchen Druck sie geriet. Und als sie eine solche Entscheidung fällen mußte, bemerkte sie bald, daß sie gewisse aus weit entfernten Zeiten überlieferte Werte nicht außer acht lassen konnte. In dieser Krise war sie ohnmächtig, wehrlos und ausgeliefert … Der Sturm richtete den erwarteten Schaden an. Doch jeder versuchte das, was innerlich zerbrochen war, zu reparieren, so gut es ging, und daran zu glauben, er habe eine Lösung gefunden. Wenn es dafür überhaupt eine Lösung gab … Sie beschlossen, eine lange Zeit getrennt zu bleiben. Sie würden sich selbst noch besser kennenlernen und vielleicht eines Tages wiederfinden, aus dem Wissen heraus, die beste Beziehung ihres Lebens zu leben … Das war fast, wie ein bißchen Asche über die Glut zu streuen. Asche streuen … Um jenes Verzehrende nicht zu sehen und zu spüren … Wobei sie wußten, daß die Asche von den Bränden übriggeblieben war … Wobei sie vielleicht immer fürchteten, die Hitze der Glut zu erleben … Schließlich war da etwas Unabgeschlossenes geblieben …
    Nach einer Weile entschied sich Şeli, unter dem Vorwand eines Universitätsstudiums nach Israel zu gehen, wobei sie ein Stipendium nutzte. In jenen Tagen gab es noch einmal eine Auswanderungswelle. So fiel es ihr nicht schwer, ihre Familie zu überzeugen. Auch dieses Mal hatte sie die Hoffnung, dort ihr Leben zu überprüfen und sich selbst zu befreien. Zumindest war es das, was sie uns sagte. Natürlich konnten wir nicht wissen, was sie zu Yorgos sagte. Was wir wußten und sehen konnten, war, daß Yorgos nach ihrer Abreise noch in sich gekehrter war. Wir sahen keine Lösung. Wir hatten unser möglichstes getan, um sie vom Weggehen abzuhalten, doch es war uns nicht gelungen …
    Ihre Eltern hatten sie eigentlich unfreiwillig bei dieser Entscheidung unterstützt. Sicherlich hätten sie sich gewünscht, daß ihre Tochter bei ihnen geblieben wäre und wie erwartet eine Familie gegründet hätte. Şeli war ihre einzige Tochter, hatte eine gute Ausbildung genossen und war auf eine gute Zukunft vorbereitet worden. Noch entscheidender war, für eine solche Zukunft lag sogar schon ihre drahoma , ihre Aussteuer, bereit. Der Schwiegersohn, der in diese Familie eintrat, sollte sich glücklich schätzen können. Diese Zusicherung garantierte ihnen die stärkste Macht. Şeli sah das. Ihr einziger Protest war

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