Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
versuchte, die Protagonisten des Spiels auf meine Seite zu ziehen. Eine Komödie, die in aller Grausamkeit zeigte, wie wenig Ahnung vom Leben ich hatte … Doch ich konnte nur das tun … Ich suchte mich selbst, so wie alle. Ohne zu wissen, womit ich bei dieser Suche konfrontiert werden würde. Doch anders war das auch gar nicht zu denken. Um weiterzukommen, mußte man auch ein bißchen unwissend sein. Erschien dem Menschen nicht deshalb die Finsternis tiefer als die Helligkeit? … Waren nicht deshalb die Nächte faszinierender als die Tage? Damals konnte ich auch nicht wissen, daß mich diese Stimmen und Gesichter, die ich zurückzulassen versuchte, unmerklich auf ein anderes Spiel vorbereiteten. Es heißt ja, daß manche Friedensschlüsse die Tür zu neuen Kriegen öffnen. Der Weg, zu dem ich aufbrach, war genau so ein Weg … Mein innerer Zwiespalt war genau so ein Zwiespalt. Es würde die Zeit kommen, wo ich mich diesem Zwiespalt stellen mußte … Doch die Tage waren anders. Das Gefühl jener Tage war anders … Und die Erzählung jener Flucht war anders … Man mußte erst mal leben … Leben und besser verstehen können … Verstehen können und sich selbst mit Geduld aufbauen, um sich von anderen akzeptieren zu lassen …
Jener kleine Laden, der still und leise seine eigene Geschichte schrieb, lag eingezwängt in einer der Gassen, die auf der einen Seite angrenzen an den Ägyptischen Basar mit seinen gewürzduftenden Ständen und auf der anderen an den steilen Hang einer der Hügel, auf denen unsere Stadt gebaut ist, Zeuge vieler Zeitenwenden, Aufstände, Hoffnungen und Tode. Die Gasse mündet in die Straße, die hinunter zu Yeni Camii , der Neuen Moschee, führt, deren Tauben mir aus irgendeinem Grund immer sehr schwermütig vorkamen. Die Gesichter im Laden erzählten mir zugleich von den Rudimenten eines Erbes, das von jenseits der Jahrhunderte kam …
Meine Hände im Spiegel
Meine Studentenjahre verbrachte ich zu einem großen Teil mit Lesen und Musikhören. In den Laden ging ich nur, um mich ein wenig zu zerstreuen oder wenn ich die Wirkung meiner, wie ich glaubte, laufend klarer und deutlicher werdenden Gedanken auf andere erproben wollte oder wenn ich Lust hatte, mit meinem Vater zum Essen zu jenem köfteci beim Bahnhof Sirkeci zu gehen. Ansonsten konnte man mich jedoch, ausgenommen die Tage, an denen ich an die Uni ging, kaum losreißen von den Büchern oder den Melodien, die von meinem Plattenspieler der Marke Dual erklangen. Diese Zeiten, in denen ich mich so lange in meinem Zimmer einschloß, daß es die übrigen Hausbewohner beunruhigte, ja daß sie sich sogar Sorgen machten, waren, wie ich glaubte, die Zeiten, in denen ich mich auf draußen vorbereitete. Ich war davon überzeugt, auf diese Weise manche meiner Ängste zu überwinden und darüber hinaus das Leben, das Dasein besser zu verstehen … Mein Taschengeld gab ich fast vollständig für Bücher, Zeitschriften, Schallplatten und manchmal fürs Kino oder Theater aus. Es kam mir sogar ein bißchen so vor, als täte ich das aus Protest gegen meine Familie, die mir nicht erlaubte, von zu Hause in eine eigene Wohnung zu ziehen. Um mich aufzulehnen und nicht wie sie zu sein, nicht wie sie zu leben … Gut, daß ich das getan habe. So bahnte ich mir langsam meinen Weg. Und dann gab es natürlich auch Konzerte. Vor allem die Konzerte von Timur Selçuk, Cem Karaca und Ruhi Su … In diesen Konzerten war ich am stärksten davon überzeugt, daß die Revolution eines Tages kommen würde. Das war damals mein Kampf, um mich ans Leben zu klammern … Wir befanden uns in einer vielleicht allzu romantischen, aber unwiederbringlichen Phase unseres Lebens. Der Kampf endete eines Tages mit einer Niederlage, und diejenigen, die sich stärker als ich auf die Sache eingelassen hatten, bezahlten dafür einen hohen Preis, sie starben durch das ihnen angetane Unrecht, oder sie wurden auf Dauer traumatisiert. Was sie erlebt haben, ist denen sehr wohl bekannt, die die Geschichte dieses Landes miterlebt haben.
In jenen Tagen, als die Niederlage und die dadurch verursachte Enttäuschung zu erleben und zu fühlen waren und ich in den Laden zu gehen akzeptierte, in der Hoffnung, mir ein neues Leben aufzubauen, waren Marlboro-Zigaretten und Nescafé schon keine Schmuggelware mehr. Von da an konnte man alles mögliche viel leichter verkaufen und einkaufen. Ich beobachtete diese Veränderung, die mir das Innerste umdrehte, ich konnte sie sehr wohl sehen. Doch
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