Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
aufzusuchen! … Nach der Revolution würden sich zudem diese gesellschaftlichen Probleme lösen! …
Damals begann Necmi davon zu sprechen, daß er in Ankara Politikwissenschaft studieren wolle. Ich wußte, daß er diesen seinen Wunsch verwirklichen konnte. Ich wußte auch, daß er in jenem Kampf weiter gehen würde als ich. Unsere Wege würden sich früher oder später trennen. Wir hatten dieses Unausweichliche absichtlich dem natürlichen Verlauf des Lebens überlassen … Was geschah, war ja derart kompliziert … Als ich mich auf die Trennung vorbereitete, war ich überzeugt, er werde nach Beendigung seines Studiums in wichtige Staatsämter gelangen können. Das haben wir alle geglaubt. Er konnte Staatssekretär werden oder Botschafter, eines Tages sogar Minister … Eröffnete man nicht der Opposition, wenn sie glaubwürdig, im Recht, scharf und deshalb gefährlich aussehend in ihrer Befragung war, einzig um diese oppositionellen Eigenschaften abzuschleifen und mit der Zeit zu vernichten, den trügerischen Weg zur Regierungsgewalt? Deswegen war ich höchst überrascht, als ich hörte, er sei von Beruf Fremdenführer geworden. Das roch mir, wenn man so sagen kann, nach einer Katastrophe …
Zu was für einem Leben würde mir die Telefonnummer, die ich auf ein Stück Papier geschrieben hatte, die Tür ein wenig öffnen? … Schon diese Frage reichte aus, mich zu beunruhigen. Vielleicht würde ich mich unter dem Eindruck dessen, was ich zu sehen bekam, fühlen, als hätte ich sinnlos in ein Wespennest gestochen. Zuerst dachte ich noch etwas nach. Ich gab mir Mühe, mich an die Orte zu erinnern, an denen wir uns zuletzt gesehen hatten, um mir die früheren Tage leichter zu vergegenwärtigen … Um mich aufs neue zu fragen, wie er sich wohl verändert haben mochte … Ein Bild rief ein anderes Bild hervor, und jedes Bild schien eine weitere lange Geschichte zu erzählen. Bald erkannte ich, daß ich es nicht länger aushalten würde. Überzeugt davon, meine Bedenken überwunden zu haben, tat ich den entscheidenden Schritt.
Als er meine Stimme hörte, sagte er als erstes, daß er sehr aufgeregt sei. In dieser Situation hielt ich es für unpassend, meine Überlegenheit als Anrufender zu nutzen. Auch ich war sehr aufgeregt. Für diese Aufregung sorgten viele Gefühle: das Bedauern über die verlorene Zeit, das Schuldgefühl, all die Zeit über nicht angerufen zu haben, und die Momente der Sehnsucht, die sich in all den Jahren angesammelt hatten; doch hatte es wenig Sinn, in diesem Augenblick bei diesen Dingen zu verweilen. Ihn förmlich nach seinem Ergehen zu fragen, fand ich ebenfalls unpassend angesichts der Geschichte unserer Beziehung. In der Hoffnung, einfach nur das Gefühl unserer früheren Tage nochmals zu erleben und aufleben zu lassen, sagte ich, ich habe plötzlich eine tolle Idee gehabt und müsse ihn deswegen sofort sehen.
Er sagte prompt zu, ohne irgendeine Erklärung oder einen Hinweis auf die Idee zu fordern … Es war, als setze sich das mit Fatoş Abla begonnene Spiel mit anderen Worten fort. Ja, als wäre inzwischen gar nicht soviel Zeit vergangen. Oder wir brachten es nicht über uns, einander in diesem Moment diesen Abstand spüren zu lassen, vielmehr glaubten wir, ihn nur so überwinden zu können. Ich erwartete sowieso, wenn wir uns trafen, lange mit ihm zu sprechen. Aufgrund dieser Erwartung konnte ich für unsere Geschichte wohl einen neuen Raum eröffnen. Daß er spontan, ohne eine einzige Frage zu stellen, mein Angebot angenommen hatte, verstärkte den Eindruck, er würde mich nicht enttäuschen. Als er auf meine Frage, wo wir uns treffen sollten, sofort die erwartete Antwort gab, reichte dies aus, mir zu zeigen, daß er gewisse Erinnerungen noch immer bewahrt hatte. Der Billardsalon …
Es fiel uns nicht weiter schwer, uns für zwei Stunden später zu verabreden. Doch ich wollte lieber ein wenig früher dort eintreffen. Ich wollte mich sowohl erinnern als auch vorbereiten. Von unserem alten Platz, wo ich seit Jahren nicht gewesen war, hatte ich Stimmen und Bilder bewahrt. Ich konnte mich ihnen nicht entziehen. Im Erdgeschoß des Salons wurde Billard gespielt, im Untergeschoß Tischtennis. Mit Necmi waren wir meistens im Untergeschoß gewesen. Es gefiel uns auch, den Billardspielern im Erdgeschoß zuzuschauen. Es gab einige aus unserer Schule, die häufiger dorthin kamen. Das waren richtige Stammgäste, die angeseheneren Gäste. Fast alle hatten Zigarettenpäckchen dabei. Das vermehrte
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