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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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deutete auf ein Tellerchen mit ein paar vertrockneten Mandeln, höchstens ein Dutzend.
    Er schwieg und zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen: Es ist mir egal, nehmen Sie sich was oder lassen Sie’s bleiben …
    Ich nahm mir welche, kaute, zerkleinerte, zermalmte, meine Kiefer bemühten sich, die Mandeln und die Stille zu zerbrechen, und während meine Zähne ihre Arbeit taten, prüfte ich die Wachstuchdecke auf dem Tisch. Ihre Ränder waren vergilbt vom Alter, gewellt und ausgefranst, die aufgedruckten Veilchen waren abgewetzt und abgeschrammt, verwelkt von heißen Kochtöpfen, durchbohrt von Gabelzinken, zerkratzt von Messern oder von Fingernägeln. Nur Gott weiß, mit wie vielen Worten Schoschana schon versucht hatte, dieses prähistorische Teil loszuwerden, und warum der Alte stur geblieben war. Eine Wachstuchdecke wie diese könnte viel erzählen, von Ellenbogen, die sich auf sie gestützt hatten, von zärtlichen Worten, geflüstert von Menschen, die sich über Teller beugten, und von Beschimpfungen, die sie sich an den Kopf warfen. Wer hatte sie aus allen Wachstuchtischdecken ausgesucht, seine Frau? Sie, die sie gekauft und auf den Tisch gelegt hatte, gab es nicht mehr. Ich vertiefte mich in diese Decke, als sei sie einAbdruck seiner Seele, ich zählte bis zehn und fragte: »Sind Sie schon viele Jahre Witwer?«
    »Wer sagt Ihnen, dass ich Witwer bin?«
    »Ich habe es angenommen. Sie leben allein und so weiter. Sind Sie denn geschieden?«
    »Ich bin weder Witwer noch geschieden. Ich bin entzweit. Wissen Sie, was das heißt, getrennt? Das Band ist zerschnitten, der Schalter umgelegt.«
    »Getrennt lebend also.«
    »Entzweit. Verstehen Sie nicht, was man Ihnen sagt? Der Absperrhahn ist vorgeschoben. Haben Sie mal versucht, einen Wasserhahn aufzumachen, und dann kommt kein Wasser heraus? So ist es mit dem Menschen, er macht die Tür auf und niemand kommt ihm entgegen. Das Haus ist leer. Eines Tages ist sie aufgestanden und weggegangen. Sogar die Elektrizitätsgesellschaft warnt einen, bevor sie den Strom abstellt, schreibt, was man tun muss, um die Stromversorgung wieder herzustellen. Und sie? Nichts. Sie hat noch nicht mal ein Stück Klopapier mit der Aufschrift ›Schmock‹ hinterlassen.« Er trocknete sich die Hände ebenso sorgfältig ab, wie er sie gewaschen hatte, Finger um Finger, vom kleinen Finger bis zum Daumen, und dieses Abtrocknen wiederholte er zweimal.
    »Nun, was ist? Wissen Sie auf einmal nicht mehr, was Sie sagen sollen? Erst reden Sie und reden, und auf einmal sind Sie stumm?«
    »Möchten Sie Kaffee?«
    »Wenn man einer Frau etwas Schlimmes erzählt, stopft sie einem den Mund mit Essen, will man Kaffee, will sie Tee. Warum haben Sie heute nicht Ihren Laden aufgemacht? Genieren Sie sich wegen der Frisur, die Sie sich haben machen lassen?« Er setzte sich auf einen Stuhl, seine Beineknirschten, er nahm erst das eine Knie, dann das andere, und stellte die Beine im richtigen Winkel hin. Sein Kopf sank tiefer und sein kahler Schädel bewegte sich zwischen dem Toaster und der Mikrowelle, ein spöttisches Lächeln zog seinen Mund in die Breite. Die Jahre hatten sein Gesicht zerfurcht, er hatte hässliche Falten bekommen. Sein eckiges Kinn war einmal kräftig und kämpferisch gewesen, heute war es ein Knochen mit geringer Dichte, aber noch immer kämpferisch, draufgängerisch.
    »Möchten Sie, dass ich etwas sage? Kein Problem. Warum interessieren Sie sich so für die Schuhe meines Sohnes?«
    Ich hatte gut gezielt und seine Achillesferse getroffen. Seine Lippen verzerrten sich, sein Kopf wackelte und sein Ohr schlug gegen den Toaster.
    »Hören Sie auf, mich durcheinanderzubringen, wenn Sie keine Arbeit im Laden haben, dann putzen Sie das Haus.«
    Ich ging.
    Nicht zum Laden, und nicht ins Haus, um zu putzen. Ich wollte zum Strand von Tel Aviv. Ich legte den Ring ab, die Kette, die Sandalen, die Brille, ich sagte, ich werde barfuß sein, leer, ich werde nur meinen Führerschein mitnehmen, eine Kreditkarte und das Handy, die Fesseln derer, die von der Zivilisation verurteilt sind. Als Nadav geboren wurde, bekam er, kaum war er draußen, ein Band mit dem Namen und einer Nummer um seinen winzigen Arm, um ihn zu lehren, dass er immer an irgendetwas gebunden sein würde, Eltern, Bürokratie, Gewissen, und eine Befreiung könnte er nur vom Tod erwarten. Ich drückte auf das Gaspedal und auf meine Stimmbänder und sang aus voller Kehle: »Unbekannte Soldaten, um uns Angst und Tod. Alle sind fürs ganze

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