Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
Vom Netzwerk:
Videospiel aufzusehen.
    Sie fahren durch einen ehemals bewaldeten Landstrich, jetzt nur noch ein Feld aus Stümpfen, wo früher hohe, gesunde Goldkiefern standen – Tausende davon –, Wächter an der Straße, auf der Justin schon sein ganzes Leben lang fährt. Jetzt sind sie verschwunden und alles sieht nicht vorhanden aus. Einen Augenblick lang vergisst er, wo er ist, er erkennt die Gegend nicht wieder, denn der Himmel liegt blank auf eine Art, wie er es noch nie gesehen hat.
    Und dann fangen die Bäume wieder an, so unvermittelt, wie sie verschwanden, in dichten Gruppen stehen sie und filtern das Sonnenlicht zu Blitzen wie von einem Stroboskop, die den Weg erhellen. Er biegt rechts in eine lange Einfahrt ein, die sich zu einer Lichtung öffnet. Genau in der Mitte steht das Holzhaus, zwei Etagen hoch und mit einem roten Stahldach. Rauch steigt in dichten Schwaden aus dem Kamin aus Flusssteinen und verweht zu einem dünnen grauen Dunst.
    Ein Kiesweg führt zu Natursteinstufen, die auf die Veranda führen. Am Geländer steht eine alte Maxwell House Kaffeedose, der feuchte Satz darin sieht ein bisschen aus wie Kautabak, wird aber bald als Dünger im Garten verstreut. Über der Haustür hängt ein Schafsschädel wie ein Wasserspeier. Sie treten sich die Schuhe auf dem Fußabstreifer ab und treten ohne Klopfen ein. Neben der Tür ragen aus Knochen geschnitzte Haken aus der Wand, an denen Hüte mit Tarnmuster, Regenumhänge und eine Carharrt-Jacke hängen. Darunter stehen schlammverschmierte und grasverkrustete Stiefel. Die honigfarbenen Hartholzdielen knarzen unter ihrem Gewicht, als sie darübergehen, einen kurzen Gang entlang, der ins Wohnzimmer führt. Eine hölzerne Vitrine steht an der Wand. Hinter dem Glas sieht man ein Service aus Knochenporzellan und fein verzierte Teekannen, einer der Akzente, die seine Mutter setzte, um die Aufmerksamkeit von den Bärenfellen und Trophäenfischen und Geweihen abzulenken, die sonst die Wände schmücken. Im Wohnzimmer gibt es zwei Panoramafenster, die das Licht hereinlassen. Dort findet Justin seinen Vater.
    Er sitzt im Schneidersitz in einem Quadrat aus Sonnenlicht, trägt eine ausgewaschene Bluejeans und ein langärmeliges Thermo-Unterhemd. Auf einem alten Budweiser-Badetuch liegt zerlegt sein Gewehr. Das Zimmer stinkt nach Waffenöl. Als er den Kopf hebt, funkeln seine Augen im Licht wie das Glas einer alten Flasche. Er lächelt aufrichtig und steht auf, um sie zu begrüßen. Auf Justins Schulter legt er seine warme, riesige Hand. »Bereit für den Tag, Männer?«
    »Klar doch«, sagt Justin.
    »Und was ist mit dir?« Er kauert sich vor Graham hin und ist so groß, dass er ihm nur in dieser Position gerade in die Augen schauen kann.
    Graham nickt mit den Augen. Sein Gesicht ist ein rosiges Oval, fast wie ein Ei, mit glatten blonden Haaren, die er streng seitlich gescheitelt trägt. Seine Arme und Beine sind dünn, die knubbeligen Gelenke wie Knoten in einem blassen Seil. Zart ist eine gute Beschreibung für ihn. An einer Kordel um den Hals hängt eine Digitalkamera, sein wertvollster Besitz. Er trägt eine Safarihose und eine Fischerweste mit vie len Reißverschlusstaschen. Eine Wasserflasche mit schmaler Trinköffnung baumelt rechts an seinem Gürtel und links ein Leatherman Werkzeug. Bis auf die Kamera ist er komplett ausgestattet mit Sachen, die Justin ihm letzte Woche bei Gander Mountain gekauft hat. Graham war sehr nervös wegen des Ausflugs – sein erster Jagdausflug, das erste Mal für mehr als eine Nacht ohne Mutter –, aber kaum war er ausgestattet, schien er sich gewappnet zu fühlen, denn die Furche zwischen seinen Augenbrauen verschwand und er hörte auf, dauernd an den Fingernägeln zu kauen.
    »Du bist immer so still«, sagt Justins Vater zu ihm. »Warum bist du immer so still?«
    Graham zuckt die Achseln und lächelt schüchtern, und Justins Vater verschränkt die Hände hinter Grahams Hals und zieht ihn zu sich, bis ihre Stirnen sich berühren. »Komm. Ich will dir was beibringen.« Seine Knie knacken, als er sich aufrichtet, und dann noch einmal, als er sich wieder vor das Badetuch setzt. Er klopft neben sich auf den Boden, und Graham setzt sich zu ihm.
    »Schätze, dein Alter hat dir nie gezeigt, wie man eine Waffe reinigt? Nein? Dachte ich mir schon.« Er wirft Justin einen tadelnden Blick zu, bevor er sich wieder dem Gewehr zuwendet. »Jetzt hör mal gut zu, okay?« Er erklärt, dass alle Feuerwaffen – »Ich rede von Gewehren, Revolvern, Pistolen,

Weitere Kostenlose Bücher