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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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beliebigen Augenblick sahen, musste sich zu einem Lächeln zwingen, wenn ein Kunde einen Witz riss, Interesse vorschützen, wenn man ihn nach den Portland Trailblazers fragte, den Zerknirschten spielen, wenn er beim Zurücksetzen mit seinem Pick-up einen Spielzeugpudel überfuhr. Und auf einer noch tieferen Ebene – jeden Morgen aufstehen, sich anziehen, Essen schlucken, den Drang bekämpfen, in den Wald zu laufen und sich eine Höhle zu suchen – war das alles nur eine künstliche Fassade. Die Leute täuschten viele menschliche Interaktionen vor, aber er war Spezialist für eine viel raffiniertere Form der Täuschung. Er täuschte auch jetzt etwas vor, indem er hier saß, mit den Zähnen knirschte und um seine Selbstbeherrschung kämpfte, weil er wusste, dass er sich glücklich fühlen sollte, dass er lächeln sollte, dass er nicht so heftig mit der Hand auf die Tischplatte schlagen sollte, dass ihre Gläser hüpften und das Bier überschwappte, so wie er es jetzt tat, als Dave wieder einmal das Wort Theater sagte.
    Dave streckte die Hände aus, wie um die Gläser zu fangen, und die Serviette rutschte ihm vom Daumen, so dass die blutende Wunde dort zu sehen war. »Verdammt, was ist denn los, Brian?«
    »Hör auf, das zu sagen.« Dass das von ihm kam, merkte er erst, als er es gesagt hatte.
    »Was zu sagen?«
    »Dieses Wort. Theater .«
    »Du bist wirklich nicht du selbst. Du führst dich auf wie –«
    »Hör auf dieses Wort zu sagen.«
    »Ist doch nur ein Wort. Was ist denn falsch daran?«
    »Wenn du es sagst, möchte ich dich am liebsten umbringen.«
    Der Lärm der Bar trat in den Hintergrund, und Jim und Dave schauten einander bedeutungsschwanger an, bevor sie sich wieder ihm zuwandten. »Wo übernachtest du heute?«, fragte Jim. »Wir rufen dir ein Taxi.«
    »Ich will nicht, dass ihr mir ein Taxi ruft. Ich will, dass ihr aufhört, euch als Kriegshelden aufzuspielen.« Als er dies gesagt hatte, verschwand die Bar und an ihrer Stelle breitete sich eine große Wüste aus, in der vom Wind hochgewehte Bimssteinkörner einem die Haut abschmirgelten und die Hitze einem die Haut abschälte, so dass eine Röte zum Vorschein kam, das eigene Innere. Das Gefühl des Irak legte sich über Brian, die Weite der Wüste und der blaue Himmel darüber, der heiße Wind wie der Atem eines Brennofens, die Skorpione, die unter jedem Stein dösten. Es war ein Ort, dem er oder sonst ein Mensch völlig gleichgültig war, weil er in seinem Alter so viele hatte sterben sehen und so viele geboren wurden, nur um später zu sterben.
    In diesem Augenblick tauchte die Kellnerin mit einem zahnreichen Lächeln neben ihm auf. »Alles okay bei euch, Jungs?«
    Seine Hand antwortete ihr, sie schnellte vom Tisch hoch und packte sie am Unterarm. »Hast du schon mal von Falludscha gehört?«
    Sofort fiel ihr das Lächeln aus dem Gesicht. Vor Schmerz und Angst kniff sie die Augen zusammen. Sie versuchte, sich loszureißen. »Bitte lass mich los.«
    »Al-Anbar?«
    »Bitte.«
    Ihr Arm war so dünn und zart. Er wusste, wenn er ein bisschen fester zudrückte und drehte, wäre ein feuchtes Krachen zu hören. »Siehst du?«, sagte er zum Tisch. »Sie hat keine Ahnung. Kein Mensch weiß, dass dort Krieg ist. Kein Mensch schert sich darum.
    »Lass Sie los!« Das war Dave, mit tiefer, strafender Stimme. Er krümmte die Hand zur Schelle und schloss sie um Brians Handgelenk. Wo seine Fingerspitzen auf Adern und Sehnen drückten, durchzuckte ihn ein scharfer Schmerz.
    Brian ließ die Kellnerin los und warf sein ganzes Gewicht über den Tisch – konzentriert in der Faust, die Daves Gesicht traf – seinen Mund, so dass die Lippen an den Zähnen aufplatzten. Sofort Blut. Sein Mund sah aus wie mit Lippenstift verschmiert. Er schrie nicht, aber die Kellnerin tat es, ein Schrei, der heulte und heulte wie eine Sirene, so dass jeder in der Bar sich ihnen zudrehte.
    Ein Augenblick entstand – bevor seine Knöchel anfingen zu schmerzen, bevor Jim ihn an die Wand drückte, bevor Dave eine Handvoll Servietten aus dem Spender riss und sich aufs Gesicht drückte, bevor der Barkeeper das Telefon unter der Bar hervorzog und 9-1-1 eintippte –, ein Augenblick, in dem die Welt zu erstarren, alles für Sekundenbruchteile zu erstarren schien, als könnte Brian sich noch umdrehen und in eine friedlichere Zeit zurückkehren.
    Er hatte Dave nicht schlagen wollen. Das hieß nicht, dass er es bedauerte, sondern nur, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, ihn zu schlagen. So viele

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