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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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schlafen können.
    In der Dunkelheit sieht ihr Haus anders aus – trutziger, abweisender –, seine Fenster sind rechteckige Augen aus gelbem Licht. Er kauert im Gebüsch, glaubt, dass es die richtige Stelle ist, aber erst, als er sie drinnen entdeckt – mit Pferdeschwanz und gerunzelter Stirn – krabbelt er auf allen vieren durch den Garten und duckt sich hinter eine Hecke, die unter dem Panoramafenster entlangläuft.
    Zentimeter für Zentimeter richtet er sich auf, und sobald er die Augen über dem Fensterbrett hat, späht er durch das Fenster, quer durchs Wohnzimmer, und sieht sie in einer hell erleuchteten Türöffnung stehen. Es sieht aus, als wäre sie davon eingepackt und würde nur auf ihn warten.
    Der Augenblick ist flüchtig. Die Küche liegt links des Wohnzimmers, und aus ihr kommt nun ein Mann – ein großer, dünner Mann mit dem Hemd in der Hose, obwohl es schon so spät ist. Er hat die rechte Hand in der Tasche, und bei der Art, wie sich der Kakistoff über ihr aufwölbt, stellt Brian sich vor, dass er ein Kleingeldklimperer ist, einer, der die Münzen in der Tasche herumdreht und sie zum Klingen bringt. Er sagt etwas zu Karen, ohne sie direkt anzusehen, sein Blick huscht zwischen ihrem Gesicht und dem Boden hin und her. Brian kann nicht verstehen, was er sagt – seine Stimme ist nur ein leises Murmeln –, aber in Karens Gesicht liest er einen offensichtlichen Widerwillen.
    Das ist der Ehemann, der für ihr Türmalheur verantwortlich ist – der Idiot, wie sie ihn nannte. Wie ein Idiot sieht er auf jeden Fall aus. Er sieht aus wie ein Versicherungsvertreter, der das Wall Street Journal liest und an den Wochenenden Golf spielt und penibel auf seine winzigen Bleistifte achtet. Brian fühlt sich von seinem Hiersein angegriffen. Er wirkt fehl am Platz in diesem Haus – fehl am Platz neben Karen –, wie ein Möbelstück, das nicht zur restlichen Einrichtung passt.
    Der Mann dreht sich zum Fenster, als würde er Brians suchendes Starren spüren. Aber Brian duckt sich nicht oder verdrückt sich in den Wald. Ja, er weiß, der Mann kann ihn nicht sehen, sieht nur ein Fenster voller Nacht, das ihm ein gespenstisches Spiegelbild seines Wohnzimmers zeigt – aber auch, wenn er es könnte, wenn die Sonne scheinen und ein Alarm losgehen würde, würde Brian ohne Angst auf diesem Grundstück bleiben.
    Der Schlüssel vermittelt ihm ein Gefühl der Zugangsberechtigung, des Besitzens. Er kann sich gut sich selber in diesem Haus vorstellen – wie er auf dem Sofa sitzt, vom Hochzeitsporzellan isst, Zahnpasta ins Waschbecken spuckt, die Daumen tief in die Augen des Mannes rammt, bis Blut hervorquillt. Bei dieser Vorstellung spürt er eine Bewegung in sich, als würde das Elend seines Lebens sich nun ändern, eine neue Dimension annehmen, und alles nur wegen ihr.

JUSTIN
    Am frühen Morgen packen Justin und sein Sohn ihre Ausrüstung in den Subaru Kombi und fahren zum Haus seines Vaters. Das Haus seines Vaters. Das ist es, obwohl er es mit seiner Mutter teilt, obwohl Justin dort bei ihnen aufgewachsen ist. Es ist eindeutig seins.
    Unterwegs spielt Graham mit seinem Nintendo DS – ein Spiel mit dem Titel Die Legende von Zelda –, in dem ein junger Elf Pfeile schießt und Zauberei benutzt, um sich durch ein kompliziertes Wildnis-Labyrinth zu kämpfen. Justin fragt Graham, ob er aufgeregt ist, und er sagt Ja, obwohl er den Blick keinen Augenblick vom Monitor nimmt und seine Daumen weiter hektisch über die Steuerkonsole hüpfen.
    »Das Ding lässt du aber im Auto. Das weißt du doch, oder?«
    Sein Blick bleibt auf das Gerät konzentriert. »Ich will nur noch ein letztes Spiel machen.«
    »Und dann schaltest du das Ding aus und vergisst die nächsten drei Tage, dass es überhaupt existiert.«
    »Ja, ja, ja«, sagt er und dann: »Dad?«
    »Was?«
    »Definiere Jungszeit.«
    »Sag das noch mal.«
    »Du sagst das die ganze Zeit. Wir wollen ein bisschen Jungszeit haben. Das sagst du immer wieder.«
    »Du weißt doch, was ich meine. Jagen, fischen, zelten, sich gehen lassen.«
    »Gehen lassen?«
    »Du weißt schon. Im Fluss baden. Ums Lagerfeuer sitzen. Sich unter den Achseln kratzen. Bohnen essen und furzen und sich nicht drum kümmern müssen, ob Mom es hört. Es macht Spaß. Den bequemen Hintern heben und sich fordern. Ein Mann werden.« Justin bewegt die Hand in einem Halbkreis, als wollte er etwas in die Luft malen, vielleicht eine Vision von Graham in zwanzig Jahren. »So Sachen eben.«
    »Hm.« Ohne von seinem

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