Wölfe und Kojoten
ich ein mutiges Kerlchen bin, bin ich gerannt wie der Teufel.
Er hat dreimal gefeuert, und der zweite Schuß traf meinen Arm.«
»Ich wette, das war die Schießerei, die
er heute abend Diane Mourning und Ann Navarro vorgespielt hat.«
»Wahrscheinlich. Ich weiß gar nicht,
warum er so stolz darauf ist. Ihm muß doch klar sein, daß er mich nicht getötet
hat.«
»Er wollte eher die Frauen
einschüchtern, glaube ich.«
»Ist es ihm gelungen?«
»Bei Diane Mourning jedenfalls. Ann
Navarro schien nur angewidert.«
»Aha. So, McCone, das ist meine
Geschichte. Heute habe ich mich nur noch hier am Flußbett herumgetrieben, mich
von Sofia verarzten lassen und mich... verdammt noch mal, wahrscheinlich auch
ein bißchen selbst bemitleidet. Und dann habe ich zum Strand hinübergesehen und
dich entdeckt, wie du da auf dieser ponga gesessen hast, so unbekümmert
und selbstsicher.«
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«,
sagte ich, »aber offenbar warst du überrascht.«
»Eigentlich hätte ich überrascht sein
müssen, aber ich war es nicht. Vielleicht wußte ich einfach, daß du über kurz
oder lang hier auftauchen würdest.« Er legte seine Hand oben auf meinen
Schenkel und drückte ihn so fest, daß es fast weh tat. »Mein Gott, wie ich dich
vermißt habe.«
»Ich dich auch. Als ich dachte, du
wärst tot... Ich darf gar nicht daran denken.« Ich drehte den Kopf, preßte
meine Lippen an seinen Hals, und Verlangen schoß in mir hoch.
»Verstehst du«, sagte er, »warum ich
mich wie ein Arschloch fühle, McCone?«
»Das solltest du nicht. Was da
schiefgelaufen ist, geht nicht auf dein Konto. Und jeder intelligente Mensch
hätte den Schwanz eingezogen und wäre vor Salazar davongerannt.«
»Ich weiß nicht.« Er zog mich zu sich
herunter, bis wir beide ausgestreckt am Boden lagen. »Ich weiß nicht, McCone«,
sagte er noch einmal, »ich bin einfach nicht mehr der Mensch, der ich mal war.«
Dann sank sein Kopf auf meine Schulter, und sein Atem wurde langsamer und
tiefer. Er war eingeschlafen.
Ich hielt ihn im Arm, die Wange an
seinem struppigen Haar, und dämpfte mein Verlangen. Sein Herzschlag war kräftig
und gleichmäßig, der Atem regelmäßig, doch manchmal stöhnte er leise, oder ein
leichtes Zucken ging durch seinen Körper...
Ich nahm ihn fester in die Arme.
Wortlos sagte ich ihm: Du bist in zweifacher Weise der Mann, für den ich dich
gehalten habe. Für einen Mann gehört viel dazu, seine Fehler zuzugeben, und
noch mehr, keine Entschuldigungen dafür zu suchen.
Und mein Verdacht verstärkte sich, daß
das, was in diesen neun Jahren geschehen war und worüber er nicht mit mir
sprechen wollte, tatsächlich sehr schlimm gewesen sein mußte.
Sonntag, 13. Juni
23
Hy zuckte und murmelte zwar fast die
ganze Nacht vor sich hin, aber er schlief durch. Auch ich schlief unruhig. Ein
paarmal mußte ich aufstehen und die ›sanitären Einrichtungen aufsuchen‹ — wie
meine Mutter es selbst hier genannt hätte, wo es nur das Lobeliengebüsch ein
paar Meter neben der Hütte gab. Beim zweitenmal, gegen fünf Uhr morgens, mochte
ich nicht gleich wieder hineingehen. Ich setzte mich eine Weile auf den
Kofferraumdeckel des Tercel, atmete die kalte Seeluft ein und lauschte der
Stille.
Von Hy hatte ich gelernt, der Stille zu
lauschen. Vor unserem Ausflug in die White Mountains — mein Gott, war das erst
zwei Wochen her? — hatte mich das stille Echo einer offenen Weite bedrückt und
in mir ein Gefühl von Einsamkeit geweckt. Doch in nur wenigen Tagen hatte er
mir gezeigt, wie friedlich Stille sein kann. Heute nacht war nur die ferne
Brandung zu hören, die ich nun als angenehm empfand.
Aber Frieden empfand ich nicht. Eher
das Gefühl, überwältigt zu sein. Wieder hatte es zu viele Veränderungen in zu
kurzer Zeit gegeben. So schnell war das alles nicht zu verarbeiten. Hy lebte,
das war ein Geschenk. Doch die Ereignisse der vergangenen Woche hatten ihn wohl
weit mehr mitgenommen, als mir angemessen schien. Und er war entschlossen wie
zuvor, mich von seiner Vergangenheit auszuschließen. Noch immer wußte ich
weder, wie ich damit umgehen sollte, noch, wie es sich auf unsere gemeinsame
Zukunft auswirken würde. Und dann war da auch meine eigene Zukunft — die ich
neu planen mußte. Wie würde sie aussehen? Und welche Rolle würde Hy darin
spielen?
Ich wußte es einfach nicht.
Um mich vom Grübeln abzuhalten, lenkte
ich meine Aufmerksamkeit auf die Ereignisse in Fontes’ Villa. Ich stellte mir
ein paar Fragen
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