Wölfe und Kojoten
während
wir den sandigen Hang hinunterrutschten, »du gehörst ja in die erste Liga mit
deiner gemeinen Wurfkraft.«
Montag, 14. Juni
00 Uhr 17
30
Bis auf das ferne Bellen eines Hundes
war alles ruhig, als wir zum Wagen kamen. Salazar war uns nicht gefolgt. Auch
aus den anderen Villen ließ sich niemand sehen. Dennoch raste mein Herz noch
immer, und ich mußte gegen die Übelkeit ankämpfen, wenn ich daran dachte, wie
die Kugel Ann Navarros Schädel zerschmetterte.
Ich verdrängte dieses Bild aus meinen
Gedanken und öffnete die hintere Tür des Seville. Hy legte Tim Mourning auf den
Rücksitz. Der stöhnte einmal kurz auf und war dann still — wahrscheinlich stand
er unter Schock. Ich holte meine Jacke aus dem Kofferraum und reichte sie Hy.
»Wir sollten ihn damit zudecken.«
Er griff nicht danach, sondern stand
nur da und preßte die Hand auf den verwundeten Arm. Als er sie fortnahm, war
sie voller Blut. »Die verdammte Wunde ist wieder aufgegangen«, sagte er.
»Hast du irgend etwas in deiner Tasche,
was wir als zusätzlichen Verband verwenden können?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Macht nichts —
so ernst ist es nicht.« Er nahm meine Jacke und breitete sie über Mourning.
»Aber du solltest besser fahren.«
Ich setzte mich ans Steuer, stellte
Sitz und Spiegel ein und ließ den Motor an. Ohne Scheinwerfer bog ich in die
Straße in Richtung El Sueño ein. Hy drehte sich um. »Fontes’ Vorplatz ist hell
erleuchtet, aber die Einfahrt ist noch geschlossen.«
Ich schaltete das Licht ein und gab
Gas. Bald hatten wir den Ort erreicht. Nirgends ein Polizist, nichts rührte
sich. Die Gehsteige lagen verlassen da, und die Läden waren nur schwach
erleuchtet. Nur der Monitor, der die Börsenkurse anzeigte, flimmerte, denn die
Londoner Börse hatte bereits eröffnet. Langsam und vorsichtig fuhr ich zum
Highway, bog nach Norden ein und gab Gas.
Hy hatte sich zu Mourning umgedreht.
»Wie geht es ihm?« fragte ich.
»Er schläft oder ist weggetreten. Das
eine ist so gut wie das andere.«
»Im Augenblick schon, aber wie kommt er
über die Grenze?«
»Er wird es schon schaffen«, sagte Hy
grimmig.
Wir schwiegen eine Weile. Dann fragte
er: »Was wirst du tun, wenn das hier vorbei ist?«
»Schlafen.«
»Nein, im Ernst...«
»In die Citabria steigen und
wegfliegen.«
»Wohin?«
»Irgendwohin, wo es ruhig ist und
relativ einsam. Und das für eine lange Zeit.«
»Was ist mit All Souls?«
All Souls! Im Trubel der Ereignisse
hatte ich ganz vergessen, ihm zu erzählen, was da los war. »Das ist kein
Thema«, sagte ich. »Ich arbeite nicht mehr dort.«
»Wie bitte?«
»Hm«, nickte ich. »Man wollte mir einen
Schreibtischjob anhängen — Beförderung nannten sie das. Ich wollte eigentlich
nicht, aber ich hab mir eine Bedenkfrist geben lassen, weil ich den Job nicht
verlieren wollte. Bevor ich mich entscheiden konnte, habe ich mich auf die
Suche nach dir begeben. Das hat man herausbekommen, und da bin ich nun —
arbeitslos.«
»Meine Schuld.«
»Wieso? Ich wußte, was ich tat.
Vielleicht ist es ja auf lange Sicht gesehen nicht einmal verkehrt. Vielleicht
ist es Zeit für eine Veränderung.«
»Das hatte ich mir auch gesagt, als ich
mich mit Renshaw verabredet habe.«
Wir schwiegen. Vor uns tauchten die
Lichter von Ensenada auf und verschwanden wieder im Rückspiegel. Es herrschte
wenig Verkehr. Ich prüfte, ob uns jemand folgte oder ob Polizei hinter uns war,
und blieb knapp unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit.
Mourning bewegte sich und versuchte
sich aufzurichten. »Ich muß kotzen«, murmelte er.
Ich hielt am Straßenrand. Hy stieg aus,
um ihm zu helfen. Nach einer Weile kamen sie zurück, Mourning sah jetzt besser
aus.
»Tim«, sagte ich, als er sich auf den
Rücksitz fallen ließ, »wissen Sie, was für Drogen man Ihnen gegeben hat?«
»Irgendwelche Barbiturate.« Er rieb
sich die Augen. »Ich habe so viel geschlafen, daß ich nicht einmal mehr weiß,
was für ein Tag heute ist. Und ich kann kaum noch einen Meter weit sehen.
Salazar, dieser Schweinehund, hat meine Brille zerbrochen.«
»Ich weiß. Wir haben Sonntag, den
dreizehnten Juni... nein, schon Montag.« Ich wartete einen Lastwagen ab und
fuhr wieder los. »Mein Gott«, sagte Mourning. »Fast zwei Wochen.« Nach einer
kurzen Pause fuhr er fort: »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. RKI ist
ein verdammt guter Laden.«
Seine letzte Bemerkung ließen wir
lieber unkommentiert.
»Ist die Wirkung der
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