Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
nicht, warum. Es kam halt so. Als Tochter eines Hausmeisters hat man nicht allzu viele Perspektiven, da wird einem von Kind an gesagt, daß man möglichst bald auf eigenen Beinen zu stehen hat.«
»Aber du müßtest doch überhaupt nicht arbeiten. Hannes ersäuft doch fast im Geld. Er müßte dich bezahlen, dafür, daß du hier Haus und Hof instand hältst.«
»Und wie stehe ich da, wenn er mich mit dreißig gegen ein jüngeres Modell austauscht?«
»Bis dahin ist ja noch Zeit«, tröstete Robin.
»Heutzutage ist ein Arbeitsplatz schwerer zu finden als ein Mann. Nicht jeder hat so ein Glück wie du.«
»Was für ein Glück?«
»Durch Erbschaft von der Notwendigkeit entbunden zu sein, für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen.«
Robin wollte protestieren, aber Barbara kam ihm zuvor. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich möchte mich duschen und meine Sachen packen, ich fahre gleich nach Hamburg.«
»Wieso denn?«
Barbara senkte die Stimme. »Ich schlafe erst wieder hier, wenn dieses Du-weißt-schon-was aus dem Keller da drüben verschwunden ist. Wann bringt ihr ihn weg?«
»Morgen früh.«
Auch Robin war ziemlich unwohl bei der ganzen Sache. Er hatte über seinen Recherchen den Gedanken an den Toten dort unten ziemlich erfolgreich verdrängt. Noch dazu fiel ihm jetzt ein, daß es Zeit war die Schweine zu füttern. Die meisten von ihnen jedenfalls.
Hannes setzte den Blinker.
»Ich habe gerade einen toten Punkt. Trinken Sie einen Kaffee mit mir?«
Sie nickte. »Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.«
»Ich überlasse Ihnen gerne das Steuer, wenn Sie es eilig haben.«
»Nein, ich trinke gerne einen Kaffee mit Ihnen, wirklich.«
An der Kasse stand sie vor ihm und bezahlte seinen Kaffee mit.
»Ich habe einige Ihrer alten Fälle gründlich recherchiert«, sagte sie, als sie sich gegenüber saßen. Es ist nicht so dramatisch, wie es manche Blätter darstellen, aber es ist etwas Wahres dran.«
»Eine gute Lüge enthält immer ein Körnchen Wahrheit. Seltsamerweise hat es keinen gestört, so lange ich noch ein kleiner Richter war.«
Sie antwortete nicht.
Ohne den Blick von der Krähe zu nehmen, die auf dem Parkplatz einen Papierkorb ausräumte, merkte er, daß sie ihn prüfend ansah. Was sie in ihm sah, war nicht schwer zu erraten: einen verlogenen, eitlen B-Promi, der seine Gespielinnen aus der Tanga-Fraktion rekrutierte. Und einen Rassisten.
Hannes wandte sich ihr zu und sagte unvermittelt: »Ich stamme aus geordneten, durchschnittlichen Verhältnissen. Hannover-Döhren, eine Reihenhaussiedlung. Meine Eltern wohnen heute noch da, mein Vater ist pensionierter Bahnbeamter.«
»Da hatten Sie es ja gut. Ich bin ein Proletarierkind«, verriet Mia Karpounis.
Es blieb eine Weile ruhig. Mia Karpounis war eine Journalistin, die wußte, wann man den Mund zu halten hatte.
»Die Schule, die ich besucht habe, hatte keinen schlechten Ruf. Es gab auch nicht über die Maßen viele Ausländer dort. Trotzdem war da so eine Türkengang, etwas älter als ich. Sie waren immer mindestens zu viert, manchmal waren es acht. Sie haben geschlagen, getreten, gespuckt. Stellen Sie sich vor, sie sind zwölf, dreizehn Jahre alt und haben jeden Tag Angst, aus dem Haus zu gehen, Angst, um die nächste Ecke zu biegen, weil sie Sie da erwarten könnten, mit einem fiesen Grinsen im Gesicht. Eines kann ich Ihnen verraten: In dieser Situation kümmern Sie Integrationsprobleme und innerfamililiäre Gewalterfahrungen Ihrer ausländischen Mitschüler einen Scheißdreck.«
Beim letzten Satz war seine Stimme leidenschaftlich geworden. Beherrschter fuhr er fort: »Es kam übrigens nie raus. Wir haben den Mund gehalten, auch zu Hause. Wir hatten Angst und schämten uns, auch voreinander. Ich habe mich sogar schuldig gefühlt. Komisch, was?«
»Nein, normal«, sagte sie. »Und die Lehrer?«
Hannes winkte ab. »Das war Ende der Siebziger. Die älteren Lehrkräfte wollten vor allem ihre Ruhe haben, den jüngeren hätten prügelnde Ausländer nicht in ihr Weltbild gepaßt.«
Sie nickte nur. Hannes hatte sich warmgeredet. »Dann, als ich Richter war, habe ich meine Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich habe das getan, weil ich die andere Seite kannte. Weil ich jedes Mal das Gefühl hatte, daß ich den Opfern was schulde und sie nicht auch noch verhöhnen darf, indem ich die Täter glimpflich davonkommen lasse.«
Blödsinn, dachte Hannes, noch während er die Worte aussprach. Ich war ein erbärmlicher Schwächling, der seine
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