Wofuer es sich zu sterben lohnt
Schrank, wischte sie ab und stellte sie zurück.
Er spülte die Schüssel, die im Spülbecken gestanden hat te, und stellte sie in die Spülmaschine. Er fegte den Kü chenboden.
In Nicos Zimmer zog er die Jalousie hoch. Er sammel te schmutzige Kleider auf, die wie Blütenblätter auf Boden und Möbel gefallen waren, und trug sie zum Wäschekorb, der bereits auf den Badezimmerboden überlief. Dort lagen die oft benutzten Socken seines Vaters, ein grauer, formlo ser BH, ein fettiger Kopfkissenbezug, ein feuchtes, stinken des Handtuch.
Er stellte die Waschmaschine auf siebzig Grad ein, sah, dass kein Waschpulver mehr vorhanden war, und ging zu Eleni, die freundlich lächelte und ihm eine Tasse Kaffee an bot. Er lehnte dankend ab, gab dann das Waschpulver in die Maschine, wusch sich die Hände und drückte auf den Startknopf.
Als Nico zurückkam, räumte er den Küchentisch ab, sie setzten sich, tranken Saft und aßen Käsebrote.
»Wann darf ich bei dir wohnen?«
Das war Nicos ewige Frage und Juris ständige Sorge. Er hatte keine eigene Wohnung. Er hatte viele Freunde, bei de nen er übernachten konnte, aber keine Wohnung, die das Jugendamt als geeignet für einen Zehnjährigen akzeptieren würde. Nico brauchte eine bessere Umgebung, als seine El tern ihm geben konnten, aber er, Juri, hatte keine Alterna tive zu bieten. Noch nicht.
Zum Glück hatte er aber angefangen, Geld zu verdienen. Und dieses Geld war die Lösung.
Mit zehn Jahren hatte er vor einem McDonald’s gestan den und sich vorgestellt, seine Eltern kämen vorbei und sagten: »Ach, hier stehst du? Hast du etwas gegessen?« Und in seiner Phantasie schüttelte er den Kopf, und sein Vater sagte - in seinen Phantasievorstellungen trat meistens sein Vater auf: »Aber dann gehen wir jetzt rein und essen zusam men einen Hamburger.« Dazu war es nie gekommen. Seine Eltern fanden es zu teuer, zu laut, zu sinnlos.
Jetzt konnte er mit Nico hingehen. Nico durfte neben ihm in der Schlange stehen und lesen, was es alles gab. Nico durfte zur Kasse gehen und sagen, was er haben wollte. Er durfte zusehen, wie die Verkäuferin mit dem kundenfreund lichen Lächeln für ihn die Mahlzeit zusammenstellte.
Juri genoss es, hinter ihm zu stehen, sein Geld hervor zuziehen, ab und zu einen raschen interessierten Blick der jungen Kassiererinnen einzufangen. »Süßer Kleiner. Dein Bruder?«
Aber jetzt saßen sie mit ihren Käsebroten in der Küche, sie sprachen über Fußball, darüber, was Nico seit ihrer letz ten Begegnung gemacht hatte und was am Wochenende ge schehen würde.
Ehe Juri ging, legte er die Wäsche in den rostigen Heiß lufttrockner und füllte die Waschmaschine noch einmal. Als er damit fertig war, fragte Nico wie immer, ob er nicht bleiben könnte, aber Juri musste etwas erledigen. Juri muss te auf ein Fest, das zweite in dieser Woche.
»Musst du ganz bestimmt gehen?«, fragte Nico, obwohl er Juris Antwort schon kannte.
»Ja. Gerade heute Abend ist das besonders wichtig. Auf gewisse Dinge muss man aufpassen, verstehst du. Gewisse Menschen dürfen nicht vergessen, dass man in ihrer Nähe ist, und um sie daran zu erinnern, muss man sich manch mal sehen lassen. Okay, Partner?«
Und Nico, der wusste, wie viele seinen Bruder respek tierten, nickte.
»Okay, Partner.«
Das hier verstand er ganz genau.
Polhemsgata 6
Die Schulpsychologin ging auf den Schulhof hinaus. Jetzt war die Woche endlich vorbei. Sie lächelte, als sie die Tür hinter sich zuzog. Die Sonne kam nach ihrer winterlichen Untätigkeit langsam wieder zu Kräften, sie wärmte ihr Ge sicht, als sie den Schulhof überquerte. Ein kleiner Windzug huschte vorüber, ungebärdig wie ein Hundebaby.
Langsam ging sie zur U Bahn weiter.
Jeden Tag kam es zu einer fast magischen Verwandlung: Sie stieg als Schulpsychologin ein, und fünfundzwanzig Mi nuten darauf stieg sie aus als Louise, als ein aufgerichteter, freierer Mensch.
Dann waren die Probleme und Freuden der Schüler von ihr abgefallen. Ihre Enttäuschung über ein System, das in kompetente und handlungsunfähige Chefs duldete, war verblichen und versunken. Sie war offen ihrer Umgebung gegenüber, hungrig darauf, was Nachmittag und Abend bringen könnten.
Diese Fähigkeit zur Umstellung war mit der Liebe ge kommen, die ganz unerwartet und mit einer Kraft in ihr Leben eingedrungen war, die sie sich niemals hätte vor stellen können.
»Das ist wie eine Totalsanierung«, hatte sie zu Anfang gescherzt, als sie mit Freunden essen waren. »Von
Weitere Kostenlose Bücher