Woge der Begierde
verstecken können.«
»Du hast auch seinen Besitz geerbt, nicht wahr? Müsste es da nicht auch eine Liste gegeben haben?«
»Sicher, aber ich habe nicht wirklich darauf geachtet. Warum auch? Ich habe ihn für tot gehalten, und offen gesagt, in den Monaten nach Sophies Tod und seinem vermeintlichen wollte ich nur eines: So weit von Stonegate und allem, was irgendwie mit den beiden zu tun hatte, weg sein, wie es nur möglich war. Gerrard, mein Anwalt in London, hat sich um alles gekümmert. Von Zeit zu Zeit hat er mir Briefe geschickt, um mich über seine Fortschritte auf dem Laufenden zu halten.« Charles starrte mit entrückter Miene ins Feuer. »Zu der Zeit lag mir nichts daran.«
»Hast du die Yacht oder die Jagdhütte verkauft?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nicht dafür interessiert. Mir wäre es auch egal, wenn die Yacht auf den Boden des Kanals gesunken wäre. Gerrard kümmert sich um alles, was nicht mit Stonegate zu tun hat.«
»Nun, dann schlage ich vor, du schreibst Mr. Gerrard und erkundigst dich nach einer Liste mit Raouls Besitztümern«, sagte Daphne praktisch. »Es ist vermutlich zu spät, um noch etwas zu retten, da ich überzeugt bin, dass Raoul sich beeilt hat, sein Erbe einzusammeln - vorausgesetzt, er hat überlebt.«
Charles nickte. »Und falls wir Juwelen finden …«
Sie strahlte ihn an. »Dann wird das beweisen, dass er tot ist und diese armen Frauen aus Cornwall einem anderen Mörder zum Opfer gefallen sind.«
»Wie es aussieht, machen wir auf unserer Reise zurück nach Beaumont Place einen Abstecher nach Brighton mit einem Halt in Poole.« Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Es sei denn, du möchtest so rasch wie möglich zu deinem Bruder und deiner Schwester zurückkehren. Ich kann dann nachkommen, sobald ich das Haus in Poole und die Räume in Brighton durchsucht habe. Ich möchte dich nicht länger von Adrian und April fernhalten als unbedingt nötig.«
Etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen, und sie sah ihn scharf an. Sie spürte, da verbarg sich mehr hinter seiner Frage als bloß höfliche Rücksichtnahme. Wollte er nicht, dass sie mit ihm kam? War er, begann sie sich zu wundern, ihrer schon müde und bereute ihre Ehe? Noch während ihr der Gedanke kam, schob sie ihn schon ungeduldig beiseite. Nein, es war nicht so, dass es an ihr oder ihrer Ehe lag; es war etwas anderes. Eine Mätresse? Wieder wurde ihr klar, wie wenig sie ihn im Grunde genommen kannte. Sie konnte jedenfalls nicht ausschließen, dass er überall verteilt auf den britischen Inseln Liebchen hatte. Und, überlegte sie weiter, er wäre nicht der erste Ehemann, der sein Vergnügen außerhalb des Ehebettes suchte. Dennoch bezweifelte sie, dass Charles ein Weiberheld war, auch wenn es nicht auszuschließen war. Weil sie so überstürzt geheiratet hatte, hatte er vielleicht nicht alles ordentlich zu einem Ende bringen können mit seiner Mätresse … wenn er denn eine hatte. Der einzige Weg, der ihr offenblieb, entschied sie, war, sich behutsam voranzutasten, bis sie mehr wusste. Vorsichtig erkundigte sie sich: »Möchtest du denn, dass ich nach Beaumont Place zurückfahre, auch ohne dich?«
»Ich möchte, was dich glücklich macht«, erwiderte er mit gleicher Vorsicht.
Was sollte sie daraus machen? Sie verabscheute die Situation und wollte auch nicht endlos mit ihm unsichtbare Schwerter kreuzen, weswegen sie aufstand und die Röcke ihres Musselinkleides ausschüttelte. »Wenn du denkst, ich lasse dich die ganze Aufregung und das Abenteuer allein erleben, hast du dich geirrt.« Sie schaute ihn offen an. »Ich bin deine Frau, und mein Platz ist an deiner Seite.«
Mit durchgedrücktem Rückgrat schritt sie aus dem Zimmer, ließ Charles mit offenem Mund zurück, hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Entzücken. Sie kommt mit mir! , dachte er begeistert. Selbst wenn, gestand er sich bedrückt ein, sie seinem Angebot sauber ausgewichen war, vorzeitig zu ihrem Bruder und ihrer Schwester zurückzukehren. Hatte sie das getan, weil er ihr wichtig war und sie bei ihm sein wollte? Oder, überlegte er weiter und verspürte dabei einen Stich, weil es ihre Pflicht war?
15
O bwohl Charles in der Nacht zu ihr kam und sie sich so leidenschaftlich wie sonst auch liebten, war sich Daphne einer leichten Zurückhaltung, einer kaum merklichen Entfremdung bewusst. Sie taten zwar, als sei nichts, aber dem war nicht so. Es hing zwischen ihnen wie ein unwillkommenes Gespenst. Daphne rümpfte die Nase.
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