Woge der Begierde
Kein guter Vergleich, wenn man das mit Sir Wesley und dem kleinen Geist in ihrem Schlafzimmer auf Beaumont Place verglich.
Nachdem sie sich früh am nächsten Morgen von den Dienstboten verabschiedet hatten und während Charles ihr beim Einsteigen in die Kutsche half, fiel ihr auf, dass sie von Geistern umzingelt schien. Nicht nur die auf Beaumont Place, sondern auch die Schatten von Charles’ Bruder Raoul und seiner Stiefmutter Sophie.
Sie warf Charles einen Blick zu, überlegte, was er wohl dachte, während er aus dem Kutschenfenster starrte. Himmel, fragte sie sich wohl zum zehnten Mal an diesem Morgen, weshalb hatte er ihr das Angebot gemacht, sie ohne ihn nach Cornwall reisen zu lassen? Wollte er sie nicht bei sich haben? Bereute er schon die Einschränkungen, die die Ehe ihm auferlegte? Oder beruhte sein Vorschlag schlicht auf Rücksichtnahme ihr gegenüber? Was auch immer dahinterstand, sie vermutete, dass es mehr war als Letzteres - in seiner Stimme war ein Unterton gewesen, etwas in seiner Haltung, das sie sicher sein ließ, dass sich hinter seiner
Äußerung eine tiefere Bedeutung verbarg. Aber was? Und warum sollte er sie wegschicken? Sie konnte sich zahllose Gründe denken, manche sogar nachvollziehbar, weshalb er sie nicht dabeihaben wollte, aber keiner davon konnte den Schmerz lindern, der wie ein Dorn in ihrem Herzen steckte.
»Es tut mir leid«, unterbrach Charles ihre Gedanken, »dich mitzuschleifen auf einen Umweg, der sich höchstwahrscheinlich als Holzweg erweist.«
Sie lächelte ihn unsicher an. »Ich sehe es eher als Abenteuer. Unser erstes gemeinsames Abenteuer.«
Er nahm ihre Hand von dem Sitz zwischen ihnen und drückte einen Kuss auf den Handrücken. »Das erste von vielen, hoffe ich«, sagte er heiser.
Schwindelig vor Liebe zu ihm wurde Daphnes Lächeln breiter, strahlend. Es war nicht wichtig, weshalb er ihr die Rückfahrt nach Cornwall ohne ihn angeboten hatte, was zählte, war allein, dass sie ihn liebte und sie zusammen waren. »Zweifellos werden wir viele Abenteuer in unserem gemeinsamen Leben haben«, antwortete sie. Ihr Lächeln wankte ein wenig. »Manche erfreulich, andere weniger.«
Sein Blick liebkoste ihre Züge, dann küsste er ihr erneut die Hand. »Die überwältigende Mehrheit erfreulich - das schwöre ich dir.«
Ihre Stimmung hob sich, sie lehnte sich nach hinten in die Samtpolster und machte es sich für die Reise nach Poole bequem.
Nach den langen Stunden in der Kutsche und Nächten in engen und meist wenig komfortablen Landgasthöfen war Daphne froh, als sie schließlich in Poole ankamen. Es war später Vormittag, als sie in der Hafenstadt eintrafen, und
Charles trug dem Kutscher auf, sogleich zu Raouls Haus am Stadtrand zu fahren. Das Anwesen erwies sich als weitläufiger, als Charles durch Raouls und Sophies Bemerkungen zu glauben verleitet worden war. Von der Hauptstraße konnte er zwischen Bäumen und Sträuchern nur Teile eines Hausdaches sehen. Eine schmale, überwucherte Zufahrt führte zwischen den Bäumen entlang, und als die Kutsche von der Straße auf den Weg abbog und sie auf das Haus zufuhren, fiel Charles ein, dass es abgeschlossen sein könnte und er gar keinen Schlüssel besaß. Zu seiner Erleichterung stand unweit einer Wegbiegung ein kleines Häuschen, in dem der Hausverwalter wohnte, ein Mr. Jacques Robinet. Mr. Robinet war ein kleiner, älterer Herr, schon etwas schwerhörig, wenn man das aus der Tatsache schließen konnte, dass er sich eine Hand hinters Ohr hielt. Er wirkte so gebrechlich, dass man Angst haben musste, die nächste kräftige Windböe würde ihn fortwehen. Mit einem derart stark ausgeprägten französischen Akzent, dass man ihn kaum verstehen konnte, erklärte er, dass er schon für Miss Sophies Familie in Frankreich gearbeitet habe und die Familie dann nach England begleitet hätte. Angst schlich sich in seine Stimme, und seine dunklen Augen richteten sich besorgt auf Charles’ Gesicht, als er weiter ausführte, dass er mietfrei in dem Häuschen wohnen durfte, solange er als Gegenleistung auf den Besitz aufpasste. Es war offensichtlich, dass Mr. Robinet einerseits eingeschüchtert war, endlich den neuen Besitzer kennen zu lernen, und andererseits von der Angst gequält wurde, vielleicht ausziehen zu müssen.
Charles beschwichtigte diese Sorge des alten Mannes unverzüglich, teilte ihm mit, sie seien einer Laune folgend heute hergekommen, um sich das Haus anzusehen, hegten
aber keinerlei Absichten, etwas zu ändern. Mr.
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