Woge der Begierde
ihm Julian bei, und der Blick, mit
dem er Charles betrachtete, war schwer zu deuten. »Aber auch genau der Mann, den man sich an seiner Seite wünscht, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht.«
»Ihr lasst ja kein gutes Haar an mir, wenn ihr so weitermacht«, beschwerte sich Charles. An Daphne gewandt erklärte er: »Hör nicht auf sie. Sie waren schon immer neidisch auf mich. Vor dir siehst du einen verwandelten Mann. Ich habe allen schlechten Neigungen von früher abgeschworen.« Er hob ihre Hand an seine Lippen und erklärte halblaut: »Und du, meine Liebe, hast nichts zu befürchten. Ich werde ein mustergültiger Ehemann sein.«
»Und wenn es ihn umbringt«, warf Marcus leise ein.
Baron Templeton, seine Gattin und sein Erbe, der Ehrenwerte Stacy Bannister, trafen kurz darauf ein, und es folgte eine weitere Vorstellungsrunde, auch wenn Daphne nach dem ersten Blick auf Lady Templeton und Stacy wusste, dass sie mit Charles verwandt waren. Beide hatten die Familienzüge der Westons, sodass es keine große Überraschung für sie war, als sie erfuhr, dass Lady Templeton seine Tante war und Stacy mit seinen fünfundzwanzig Jahren sein jüngster Cousin. Sie war dankbar, als Stacy sich gleich mit Adrian anfreundete, und sein verblüffter Gesichtsausdruck, als er April erblickte, erfüllte sie mit tiefster Befriedigung.
Das Dinner an diesem Abend war sehr angenehm, die Gespräche anregend und das Essen ausgezeichnet. Als die Damen sich vom Tisch erhoben und die Herren ihrem Portwein überließen, war Daphne so voller Optimismus für Adrians und Aprils Zukunft, dass sie das Gefühl hatte zu schweben.
Viele Stunden später, als sie an ihrem Frisiertisch saß,
schossen ihr Bilder durch den Kopf, wie April und Adrian London im Sturm eroberten. Sie drehte sich um und sah zu der nun nicht mehr durch den Schrank verdeckten Verbindungstür zu dem Salon, den sie und Charles sich teilen würden. Die Bedeutung dessen, was sie im Begriff stand zu tun, entzog sich ihr nicht. Übermorgen um elf Uhr am Vormittag würde sie einen Mann heiraten, dessen Namen sie bis vor einem Monat noch nie gehört hatte. Ihr Herz machte einen Satz. Bald schon wäre sie Mrs. Charles Weston, und ihr Schicksal und das ihrer Geschwister würde in den Händen eines Fremden liegen. Allerdings musste sie zugeben, dass sie diesem Fremden inzwischen vertraute und ihn achtete. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte oder Angst haben. Oder beides.
13
D er Hochzeitstag dämmerte hell und klar herauf, und für Daphne verging die Zeit wie im Flug. Ein förmliches Dinner mit der versammelten Gesellschaft vor Ort hatte am Vorabend stattgefunden. Irgendwie schien Daphne dennoch alles unwirklich.
Sie war so beschäftigt, dass sie keine Zeit hatte, an die Hochzeitsfeier selbst zu denken. Und ehe sie recht begriff, wie ihr geschah, hielt die behäbige Beaumont-Familienkutsche mit ihr und ihren Geschwistern darin vor den Eingangsstufen der Dorfkirche. Flankiert von Bruder und Schwester hob sie den Saum ihres weiß und silbern gemusterten Kleides an und betrat mit heftig klopfendem Herzen die Kirche.
Ihre Hand, die auf dem Arm ihres Bruders ruhte, zitterte, während Daphne den Gang entlangschritt bis vor den Altar, wo der Vikar, Charles und sein Trauzeuge, der Earl of Wyndham, auf sie warteten. Sie nahm kaum die Kirchenbänke aus dunklem Holz wahr, die zur Feier des Tages mit rosa Rosen und süß duftenden weißen Lilien geschmückt waren, kaum das aufmunternde Lächeln, das die Countess ihr schenkte, kaum etwas außer dem auf eine strenge Weise gut aussehenden, hochgewachsenen Mann, der vorne am Altar stand. Als ihre Blicke sich trafen, machte ihr Herz, das ohnehin schon wie wild klopfte, einen Satz.
Als sie beim Vikar ankamen, nahm Adrian, der absurd förmlich und sehr jung wirkte, Daphnes Hand von seinem
Arm und legte sie in Charles’. Und als Charles’ Finger sich warm um ihre schlossen, fühlte es sich überwältigend richtig an und tröstend. Sie erwiderte den Druck seiner Hand, und sie schaute ihm ins Gesicht, war beinahe überwältigt von dem, was sie im Begriff stand zu tun. In wenigen Augenblicken wäre sie die Frau dieses Mannes, dieses Fremden, der aber doch gar kein Fremder mehr war. Wenn der Vikar sie erst einmal zu Mann und Frau erklärt hatte, wären ihre Leben für immer miteinander verknüpft, und zu ihrer Verwunderung verspürte sie angesichts dieses Wissens reine Freude. Bald schon stünden sie und ihre Geschwister nicht mehr zu dritt
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