Wogen der Sehnsucht
aus dem Leben deines eigenen Kindes heraushalte? Mein Gott, Tristan, du eiskalter, gefühlloser Bastard! Niemals. Auf keinen Fall!“
Seine Augen wurden schmal, aber sie fixierten sie nach wie vor.
„Bist du ganz sicher? Selbst wenn es zu deinem eigenen Besten wäre?“
Sie schüttelte entschlossen den Kopf und spürte, wie Stärke und Sicherheit zurück in ihren frierenden Körper flossen. Jetzt befand sie sich auf vertrautem Boden. „Es interessiert mich nicht mehr, was gut für mich ist, Tristan. Mir geht es jetzt nur noch um mein Baby. Ich will, dass es weiß, woher es kommt, dass es eine Geschichte hat. Eine Identität. Wurzeln.“
Dinge, die sie nicht gehabt hatte.
Mit einer geschmeidigen Bewegung stand er auf. Der milde Abend schien sich zu verdunkeln, als seine breiten Schultern sich vor den wolkenüberzogenen Himmel schoben. Lily schlüpfte aus ihren hochhackigen Schuhen, stellte die Füße auf die Bank und schlang die Arme um ihre Knie, um sich zu wärmen und unbewusst das winzige, zögernde Leben in ihr zu schützen.
Tristan stand mit dem Rücken zu ihr und blickte über den Garten zu dem dunklen Turm. „Nun denn. Ich hoffe, du bist bereit für die einzige Alternative.“
„Alternative?“ Die Art, wie er das sagte, jagte Lily einen Schauer über den Rücken. „Was meinst du damit?“
Er drehte sich um. „Es gibt nur alles oder nichts, Lily. Wenn du mich als Vater des Kindes nennst, dann müssen wir heiraten.“
„Heiraten?“
Der dünne Faden der Sicherheit, der sie gerade noch am Boden gehalten hatte, riss abrupt und gab ihr das Gefühl, durch den Weltraum zu fallen, sodass alle Logik und alles Vertraute nur noch winzige Punkte in der Ferne waren.
Heiraten . Das Wort, das sie während ihrer Kindheit immer mit so viel sehnsüchtiger Hoffnung erfüllt hatte, klang jetzt kalt, trostlos und geschäftsmäßig.
„Aber warum?“
„Unehelichkeit kommt nicht infrage“, erklärte er knapp. „Das musst du verstehen. Der Stammbaum meiner Familie reicht sechshundert Jahre zurück. Es ist meine Pflicht, diese Linie zu respektieren und zu erhalten. Ich kann nicht …“, hier brach ihm die Stimme, aber nur für einen sehr kurzen Moment, „… ich kann nicht wissentlich zulassen, dass ein Kind von mir außerhalb dieses Erbes geboren und aufgezogen wird.“
Steif und unsicher erhob sich Lily und ging langsam auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, blickte sie ihm in die Augen und versuchte, die Gefühle zu lesen, die sie verdunkelten. „Und trotzdem wolltest du mich gerade noch bestechen“, sagte sie leise. „Du wolltest mich und das Baby nicht in deinem Leben und in deiner Familie haben. Ich verstehe das nicht, Tristan. Warum willst du das tun?“
Ihre Blicke trafen sich über dem Abgrund, der sie trennte. Der Ausdruck in seinen Augen war völlig trostlos und schmerzhaft kalt, aber in diesem Moment vergaß sie, dass sie Angst hatte und wütend war. Sie wollte ihn nur noch festhalten. Sie wollte es so sehr, dass ihr beinahe schwindelig davon wurde.
Seine Lippen formten sich zu einem bitteren Lächeln, das ihr das Herz brach. „Du willst, dass das Kind eine Geschichte hat?“, meinte er mit einer hypnotisierend sanften Stimme. „In meiner Familie bekommt es sechs Jahrhunderte davon und Wurzeln, die so tief sind, dass sie sich wie Betonanker anfühlen, die einen so festhalten, dass man sich nicht bewegen kann. Das gibt einem keine Identität, das macht es fast unmöglich, eine zu haben. Deshalb wollte ich niemals Kinder.“ Er hielt inne und fuhr sich in einer hoffnungslosen Geste über das Gesicht. „Ich konnte mir die Familie nicht aussuchen, in die ich hineingeboren wurde, aber du kannst für das Baby noch wählen. Begrenz den Schaden, Lily. Geh, solange du noch kannst.“
Lilys Herz fühlte sich an, als wäre jemand mit dem Schweißbrenner darübergegangen. Langsam und bestimmt schüttelte sie den Kopf. „Unser Baby“, sagte sie leise. Der Boden unter ihren nackten Füßen war kalt, und sie zitterte, aber ihre Stimme war ruhig und fest. „ Unser Baby. Ich glaube an die Familie, Tristan. Ich glaube an die Ehe.“
Zarte Schmetterlingsflügel der Hoffnung flatterten in ihr. Er bot ihr das an, nach dem sie sich immer gesehnt hatte: die Ehe; eine richtige Familie für dieses Kind – nicht nur dieser schlechte Abklatsch, den sie kennengelernt hatte. Nicht gerade ein märchenhaftes Ende, aber eine Variante davon. Hatte sie sich nicht immer geschworen, dass sie ihren eigenen Kindern die
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