Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
zwanzig Minuten Fahrt waren sie bereits mitten in den Bergen vor der Stadt, und Lily schaute aus dem Fenster auf Kreosotbüsche, Straucheichen und Felsen. Die Straße war steil und der Himmel so klar, dass es ihr vorkam, als müsse sie nur das Fenster herunterkurbeln, um das strahlende Blau nicht nur sehen, sondern auch einatmen zu können. Im Vergleich zu den Rocky Mountains im Nordosten waren diese Berge zwar recht kümmerlich, doch sie liebte sie dennoch sehr. Bei ihrem Anblick musste sie immer an die alten Cowboys und ihr raues Leben denken.
Rules Vater gehörte ein ziemlich großer Teil dieser Berglandschaft.
Und das war keineswegs Isen Turners einziger Besitz, wie sie dem FBI -Dossier entnommen hatte. Er besaß Weinberge in Napa Valley, zahlreiche Immobilien in San Diego und L.A., Aktien, Obligationen und weitere Ländereien in einer abgelegenen Ecke Kanadas. Das FBI schätzte den Wert seiner Besitztümer auf etwa dreihundert Millionen Dollar, und Rule verwaltete das Ganze.
Aber alles wusste das FBI nicht. Wer Rules Mutter und wie alt sein Vater war entzog sich seiner Kenntnis. Nicht einmal Rules genaues Alter war bekannt.
Lily schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er wäre zwar auch für Mitte zwanzig durchgegangen, doch aufgrund seines Verhaltens wirkte er reifer. Das rührte jedoch vielleicht auch von seiner edlen Abstammung her.
Sie sah ihn kurz an, dann schaute sie wieder aus dem Fenster. Die Landschaft war weitaus interessanter als ein schmollender Werwolf.
Sein Auto jedoch weckte Begehrlichkeiten in ihr. Ein blitzblankes neues Mercedes-Cabrio – silberfarben, dunkle Ledersitze, eingebautes Navigationssystem. Angesichts der schlechten Stimmung hatte sie ihm nicht vorschlagen wollen, das Verdeck zurückzuklappen, und bei geschlossenem Dach konnte man den fantastischen Klang der Stereoanlage auch viel besser genießen … nicht dass es sehr viel zu genießen gab.
Er hatte Dvorˇák gehört, als er sie abgeholt hatte.
Meistens konnte sie klassische Musik ganz gut ertragen, aber nicht diese, nicht Quartette. Vielleicht hätte sie die Zähne zusammenbeißen sollen, bis es vorbei war, aber das hatte sie nicht getan. Sie hatte höflich gefragt, ob er etwas anderes spielen könne. Ebenso höflich hatte er sofort auf einen Oldie-Sender umgeschaltet. Was möglicherweise einem versteckten Seitenhieb auf ihren Musikgeschmack gleichkam, aber das kümmerte sie nicht.
Sie hatte sich bereits bei ihm entschuldigt. Was wollte er denn noch? Und verdammt, wünschte sie sich tatsächlich, er würde wieder mit ihr flirten? So blöd konnte sie doch gar nicht sein!
Möglicherweise schon, gestand sie sich insgeheim ein. Dagegen musste sie etwas tun. Aber warum war er nur die ganze Zeit so … so verflucht höflich? Sie hatte es versucht. Sie hatte wirklich versucht, ein freundliches Gespräch mit ihm zu führen. Erstaunlich, wie erdrückend ein einfaches Ja oder Nein sein konnte. Ihm war es gelungen, sie in aller Höflichkeit zum Schweigen zu bringen.
Er erinnerte sie an ihre Mutter.
Dieser Gedanke war so absurd, dass sie grinsen musste. Sie nahm sich selbst – und ihn – viel zu ernst. Und außerdem machte sie keine Vergnügungsfahrt, sondern ermittelte in einem Mordfall.
Sie hatte sich morgens die Genehmigung des Captains geholt. Er hatte ihr erlaubt, in ihrem Bericht alle für den Fall nicht relevanten Details auszusparen – es gefiel ihm, das FBI im Dunkeln zu lassen. Danach war sie losgefahren, um mit den Nachbarn der Fuentes zu sprechen, und hatte zwei von ihnen zu Hause angetroffen.
Der Mann einen Stock tiefer hatte das Paar überhaupt nicht gekannt und war ihr keine Hilfe gewesen. Aber in Apartment 41C war sie sozusagen auf eine Goldader gestoßen. Erica Jensen war eine junge alleinstehende Frau, die mit Rachel befreundet war. Sie hatte bestätigt, dass Carlos anderen Frauen gern schöne Augen gemacht und dabei auch seine Hände und andere Körperteile ins Spiel gebracht hatte. Er hatte Rachel dazu überredet, sich im Club Hell umzusehen, und war hocherfreut gewesen, als sie das Interesse eines Lupusprinzen geweckt hatte.
„Ganz schön merkwürdig, diese Geschichte“, hatte Erica schulterzuckend erklärt. „Carlos hat immer davon geredet, dass Besitzansprüche total falsch sind, aber ich weiß nicht so recht. Wenn Sie mich fragen, hat es ihm gefallen, dass andere Männer seine Frau haben wollten. Dann fühlte er sich wichtig, weil sie ihm gehörte. Das ist doch auch Besitzdenken! Aber für sie schien es
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