Wolf Shadow Bd. 4 - Finstere Begierde
Das Medaillon befand sich jetzt flussabwärts noch mindestens achtzig Kilometer von ihnen entfernt, aber sie musste ihren „Kompass“ immer wieder neu einstellen, um ihm folgen zu können. Trotzdem war der Blick auf die Karten nützlich gewesen. Jetzt wusste sie besser über die geographischen Gegebenheiten in Edge Bescheid.
Auch sie hätte gut daran getan, ein wenig zu schlafen. Stattdessen aber stand sie an der Reling am Bug und starrte hinaus in die Dunkelheit. Der Himmel war wolkenverhangen, sodass ihnen nur die Begrenzungsleuchten, die magischen Lichter derer, die wie sie im Dunkeln nicht gut sahen, und das gelegentliche Aufblitzen eines anderen Flussschiffes blieben.
„Ich hatte meine Hose noch an“, hörte sie Cullen in ihrem Rücken sagen.
Sie ballte die Hände und stopfte sie in die Taschen ihres Mantels. Sie hatte es doch gewusst, sie hätte ins Bett gehen sollen. Sie sollte endlich damit anfangen, auf sich zu hören.
„Ich weiß, dass du nicht mit mir reden willst“, sagte er und stellte sich neben sie. „Aber du musst mir zuhören.“
Es stand ihm frei zu reden. Sie musste ja nicht zuhören. Sie hielt den Blick fest auf eine unsichtbare Küste gerichtet.
„Ich hatte keinen Sex mit ihr.“
Cynna trainierte ihre Atmung. Sie war gut im Atmen, und es zahlte sich aus, wenn man sich auf seine Stärken konzentrierte.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er sich mit den gespreizten Fingern durch das Haar fuhr. „Ich habe dir gesagt, warum sie in meinem Zimmer war.“
Jaja. Die Elfenfrau kannte den Sprachenzauber. Für Cullen war nichts so wichtig wie Zauberrituale. „Ich glaube dir“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. „Du wolltest den Zauber von ihr, und im Gegenzug hast du ihr das gegeben, was sie wollte.“
„Du hast mir gar nicht zugehört, oder? Sie wollte keinen Sex für den Zauber.“ Seine Mundwinkel hoben sich. „Ich bin gut, aber nicht so gut.“
Cynna unterdrückte nur mit Mühe den Wunsch, ihm in sein amüsiertes Grinsen zu schlagen. Aber für heute hatte sie sich mit ihrem Mangel an Beherrschung genug blamiert. „Du bist ein schöner Mann, und du bist neu für sie. Ihr erster Lupus. Wahrscheinlich kennt sie nicht mehr so viele ‚erste Male‘.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich muss mich wohl noch genauer ausdrücken. Ich habe ihr keinen Sex versprochen.“
„Dann hast du sie aber ganz schön reingelegt.“
„Sie hat mir versprochen, mir die Hochsprache zu geben. Dafür sollte ich meine Schilde deaktivieren. Dann hat sie mich verzaubert.“
„Sie hat was getan?“ Cynnas Lippen kräuselten sich, aber da war es schon zu spät. Mist, sie hörte ihm zu.
„Mich hypnotisiert. Du hast doch sicher schon von Feenmagie gehört?“
Sie sah ihn empört an. „Warum, denkst du, habe ich nach ihr getreten und nicht nach dir?“
Er öffnete den Mund. Brachte aber keinen Ton heraus.
Trotz ihrer Kränkung empfand sie eine gewisse Befriedigung. Es passierte nicht oft, dass Cullen ihr nichts zu entgegnen wusste. „Was hast du denn gedacht, warum ich sie und nicht dich für euer Techtelmechtel verantwortlich gemacht habe? Die Tür öffnete sich. Du hast nicht reagiert. Auch als du mich gesehen hast. Du bist zwar blöd, aber nicht so blöd. Was solltest du ihr denn im Gegenzug geben, wenn es nicht dein Schwanz war?“
„Informationen“, sagte er trocken. „Theera ist eine Spionin, sie handelt mit Informationen.“
„Ist das der Name der Elfenfrau? Theera?“
„Ihr Rufname.“ Er schüttelte reumütig den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Feenzauber bei mir wirkt. Sie ist nur eine Halbelfe, und ich dachte … Na ja, anscheinend habe ich mich getäuscht. Wie dem auch sei, sie ist hier im Auftrag ihrer Halbschwester … und handelt manchmal eben auch mit Informationen.“
Offenbar hatte er viel über die liebreizende Theera erfahren. „Du solltest Ruben von ihr erzählen.“
„Das habe ich bereits. Während du mir aus dem Weg gegangen bist.“
Cynna fühlte sich so elend, wie sie sich das letzte Mal mit zwanzig Jahren gefühlt hatte. Damals hatte sie einen entzündeten Zahn gehabt und kein Geld. Statt sich etwas von ihrer Tante zu leihen, die ebenfalls kaum genug zum Leben hatte, hatte sie beschlossen, den Schmerz auszuhalten, bis er wieder abklang.
Manchmal funktionierte das. Nicht mit einem entzündeten Zahn, wie sich herausstellte. Sie hatte keine Ahnung, ob sie den Schmerz, den sie jetzt empfand, einfach aussitzen konnte, aber da es keine Zahnärzte für
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