Wolfgang Hohlbein -
dem Bett hockte und im Sitzen schlief. Eine Schale mit Wasser und ein Stapel sauberer Tücher lagen auf einem zweiten Schemel neben ihr.
Tobias betrachtete die schlafende Frau eine Weile voller Dankbarkeit.
In all dem Durcheinander von Bildern und Geräuschen, das er in den letzten Tagen wahrgenommen hatte, hatte er doch gespürt, daß sie während all der Zeit an seinem Bett Wache hielt und sich um ihn kümmerte. Wahrscheinlich war es ihr zu verdanken, daß er überhaupt noch lebte.
Tobias drehte den Kopf. Das Kissen raschelte, und so leise das Geräusch auch war, es reichte aus, um Maria aufzu-wecken. Sie fuhr im Schlaf zusammen, öffnete mit einem Ruck die Augen und blinzelte zwei-, dreimal, ehe sie vollends in die Wirklichkeit zurückfand. Hastig stand sie auf, beugte sich über ihn und sah besorgt in sein Gesicht.
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»Wie fühlt Ihr Euch?« fragte sie.
Tobias wollte antworten, aber seine Kehle brannte, als hätte er gemahlenes Glas geschluckt. Jetzt erst spürte er, welch entsetzlichen Durst er hatte.
»Versucht nicht, zu sprechen«, sagte Maria. »Schließt einfach die Augen für >ja< und laßt sie offen für >nein<.«
Tobias senkte die Lider und hob sie wieder, und Maria lächelte zufrieden. »Seid Ihr durstig?« fragte sie.
Tobias blinzelte mehrmals hintereinander. Maria wandte sich rasch vom Bett ab und kehrte mit einer flachen Holz-schale zurück. Als sie sie an seine Lippen setzte, konnte er riechen, daß sie kein Wasser, sondern kalte Brühe enthielt.
Die Flüssigkeit schien in seiner ausgedörrten Kehle zu versickern, lange bevor sie seinen Magen erreichte.
Maria zog die Schale wieder fort, kaum daß er ein paar Schlucke getrunken hatte, und machte eine entschiedene Kopfbewegung, als er sie enttäuscht ansah.
»Das ist genug für jetzt«, sagte sie. »Ich bin froh, wenn Ihr die Brühe bei Euch behaltet.«
Tobias schluckte, würgte ein paar Mal trocken und
schluckte dann wieder, als sich sein Mund wieder mit bitterer Galle zu füllen begann.
Maria entspannte sich erst wieder, als sie begriff, daß Tobias sich nicht übergeben würde. Erst jetzt fiel ihm der schreckliche Geruch im Zimmer auf: Es roch nach kaltem Schweiß. Und es war kein anderer als er selbst, der diesen Geruch verströmte. Die Erkenntnis war ihm peinlich. Tobias war ein reinlicher Mensch, und er hatte darüber hinaus genug mit Kranken und Sterbenden zu tun gehabt, um zu wissen, wie erniedrigend es war, in den letzten Stunden manchmal selbst die Kontrolle über die einfachsten Körper-funktionen zu verlieren.
Maria nahm eines der Tücher vom Stapel, tauchte es ins Wasser und wrang seine Zipfel sorgfältig aus, bevor sie ihm damit über Stirn und Augen fuhr. Dann legte sie es weg, nahm ein frisches Tuch und tupfte damit über seinen Mund.
Die Berührung tat weh, denn seine Lippen waren ausgedörrt vom Fieber.
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»Laßt es mich wissen, wenn es Euch zu unangenehm
wird«, sagte Maria. »Habt Ihr verstanden?«
Tobias nickte mit den Augen.
Maria sah einen Moment nachdenklich auf ihn herab,
dann legte sie das Tuch aus der Hand und begann rasch, aber sehr behutsam die mittlerweile eingetrockneten Wadenwickel auszutauschen. Die Kälte der nassen Lappen auf der Haut ließ ihn schaudern, aber er spürte auch, daß das Fieber zurückging. Dann legte Maria ihm ein frisches Tuch auf die Stirn, wobei ihm etwas Wasser ins Gesicht lief. Sorgfältig wischte sie es weg, trat wieder vom Bett zurück und kam nach wenigen Augenblicken mit einer anderen hölzernen Schale, die diesmal kaltes, klares Wasser enthielt. Wie die Suppe zuvor trank er es, ohne irgendein Gefühl zu empfinden.
»Danke«, flüsterte er. Seine Stimme war nur ein Hauch; das gebrochene Wispern eines uralten Mannes. Er erschrak beinahe selbst, als er sie hörte.
»Ihr sollt nicht reden«, schalt ihn Maria.
Wieder spürte er ein kurzes, wohltuendes Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Er wußte auch, daß Maria recht hatte; nichts von dem, was er jetzt sagen oder fragen konnte, hätte nicht bis später Zeit gehabt, aber er hatte so entsetzlich viel Zeit verloren, vielleicht schon zu viel.
»Wie geht es ... Katrin?« fragte er mühsam.
Maria blickte erstaunt auf ihn herab. Dann lachte sie, allerdings nur für einen ganz kurzen Moment, ehe sie wieder ernst wurde. »Ihr seid ein seltsamer Mann, Tobias. Jeder andere in Eurer Lage hätte gefragt, was passiert ist, aber Ihr denkt zuerst an sie.«
»Und was ... ist ... passiert?« fragte Tobias stockend.
Die Worte
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