Wolfgang Hohlbein -
trat dann weiter auf Tobias zu.
Hastig wich er um die gleiche Entfernung zurück, so daß er nun unter der Tür stand. »Ich lasse dir später etwas zu Essen bringen«, sagte er. »Und ich werde einen Mann vor der Tür postieren, der Wache hält, wenn ich selbst nicht da bin.«
Damit fuhr er herum, verließ die Zelle vollends und schob die Tür hinter sich zu. Auch seine Finger zitterten, als er den Schlüssel ins Schloß steckte und ihn zweimal herumdrehte.
Katrin trat auf der anderen Seite ganz dicht an die Tür heran 304
und preßte Gesicht und Hände an die Gitterstäbe vor dem kleinen Fenster darin. Aber Tobias hatte nicht die Kraft, ihrem Blick standzuhalten. Er schob den Schlüssel unter den Strick, der ihm als Gürtel diente, und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Treppe zu.
Bresser folgte ihm, aber Tobias lief so schnell, daß er ihn erst einholte, als sie bereits wieder im Untergeschoß angelangt waren.
»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe«, sagte er unfreundlich. »Schickt später Eure Frau mit einer Mahlzeit zu ihr und sorgt dafür, daß ein zuverlässiger Mann die ganze Nacht vor ihrer Tür Wache hält.«
Bresser lief händeringend neben ihm her. »Aber das ist unmöglich«, sagte er mit schwerer Zunge. »Niemand wird sich auch nur in die Nähe der Hexe wagen.«
»Dann tut es eben selbst«, schnappte Tobias zornig. »Ihr habt Euch doch beschwert, daß ich Euch in den letzten Tagen Unbequemlichkeiten bereitet habe, oder? Nun, dort oben steht ein Bett, das breit und bequem genug für einen König ist. Es wird allemal gut genug für Euch sein, um Euren Rausch darin auszuschlafen.«
Er blieb stehen, musterte Bresser kalt von Kopf bis Fuß und fügte im gleichen, zornigen Tonfall hinzu: »Und Ihr haftet mir persönlich mit Eurem Leben für ihre Sicherheit, Bresser.«
Der Widerstand des dicken Mannes erlahmte. Er nickte demütig, wobei seine Lippen unverständliche Worte formten. »Wie Ihr befehlt, Herr«, sagte er nach einer Weile.
Pater Tobias ließ ihn stehen und trat aus dem Haus.
Die Dämmerung nahte. Langsam senkte sich die Sonne im Westen hinter den Horizont. Zu allem Überfluß hatte sich der Wind gedreht und trug wieder den Pestgestank des fau-lenden Sees heran. Tobias rümpfte angeekelt die Nase, vollführte eine halbe Drehung, um sich Bressers Haus zuzuwen-den - und blieb plötzlich stehen.
Auf der anderen Seite des Platzes, im Schatten einer schmalen Gasse, so daß er die Gestalt nur als Silhouette erkennen konnte, stand Temser. Er war nicht allein. Noch 305
tiefer in der Gasse befand sich ein zweiter Mann, der heftig gestikulierend mit dem Bauern redete. Tobias konnte über die große Entfernung weder die Gesten erkennen, noch die Worte verstehen. Doch der erregte Ton, in dem die beiden Männer sich verständigten, ließ ahnen, worüber sie sprachen. Zudem machte Temser eine knappe Kopfbewegung
auf Bressers und das Turmhaus.
Ohne sich selbst ganz darüber im klaren zu sein, warum er es überhaupt tat, wich er rasch wieder unter die Tür des Turmhauses zurück, um nicht gesehen zu werden.
Eine ganze Weile beobachtete er die beiden Männer. Das vage Gefühl von Mißtrauen wurde zur Gewißheit, als sich Temser nach einer Weile herumdrehte und gemächlich den halb gepflasterten Platz überquerte und Bressers Haus ansteuerte. Einen Augenblick später trat auch der zweite Schatten aus der Gasse hervor und wandte sich in die entgegengesetzte Richtung, dem Stadttor zu. Tobias erkannte ihn: Es war der Stallknecht des Grafen, der ihn an jenem Abend vor vier Tagen so verzweifelt und vergeblich zurückzuhalten versucht hatte.
Was um alles in der Welt hatten diese beiden miteinander zu sprechen?
Der Mönch war sich der Möglichkeit durchaus bewußt, daß er schlichtweg Gespenster sah und alles eine ganz harmlose Erklärung hatte. Er durfte nicht den Fehler begehen, in jedes hingeworfene Wort, in jede belanglose Geste ein Geheimnis hineinzudeuten; aber er durfte auch keineswegs zu leichtsinnig sein.
Tiefst verwirrt verließ er das Haus zum zweiten Mal und überquerte den Platz. Da er den kürzeren Weg hatte, erreichten Temser und er Bressers Wohnhaus beinahe gleichzeitig.
Der Bauer zögerte, als er seine Schritte hörte, drehte sich herum und lächelte ihm zu. »Pater Tobias«, sagte er erfreut.
»Ich wollte gerade zu Euch kommen, um Euch abzuholen.«
Tobias warf einen raschen Blick in den Himmel hinauf.
»Es ist noch früh«, sagte er. »Im Grunde habe ich noch eine Menge
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