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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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hielten, waren keine Hände, sondern die dürren Knochenklauen eines Skelettes!
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    So schnell der Himmel aufgerissen war, so rasch schlossen sich die Wolken auch wieder, und barmherzige Dunkelheit senkte sich über das furchtbare Bild. Aus Verfolger und Ver-folgtem wurden wieder schwarze, tiefenlose Schatten, die einen grotesken Tanz in fast vollkommener Lautlosigkeit aufzuführen schienen.
    Doch was Pater Tobias in diesem Moment gesehen hatte, reichte aus, ihn für Augenblicke an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Er wollte schreien, aus seinem Versteck herausstürzen, den schrecklichen Kreaturen das heilige Kreuz, das um seinen Hals hing, entgegenhalten, ihnen die machtvoll-sten Bannsprüche entgegenschleudern, die er als Inquisitor erlernt hatte, sie mit der Macht seiner heiligen Worte verbrennen -
    - aber er konnte nichts von alledem. Es war, als wäre nicht nur sein Wille, sondern sein ganzes Denken ausgelöscht. Er hatte nicht einmal Angst in diesem Augenblick. Er stand einfach da, starrte die tanzenden Schatten an und wartete vergeblich darauf, daß er irgend etwas empfand, das man Angst oder Entsetzen nennen konnte. Aber in ihm war nichts, nur eine tiefe, gottlose Leere, die schlimmer war als jede Furcht, die er hätte empfinden können. Reglos sah er zu, wie der knochengesichtige Reiter auf Derwalt losjagte und im allerletzten Moment, gerade als er glaubte, er müsse den Zimmermann einfach über den Haufen reiten, sein Pferd zur Seite und den Arm in die Höhe riß. Die furchtbare Skelettklaue vollführte eine blitzartige Bewegung, und plötzlich schrie Derwalt voller Schmerz und Entsetzen auf, taumelte zurück und brach in die Knie.
    Der Reiter galoppierte weiter, doch noch bevor Derwalt sich wieder erheben konnte, sprengte ein zweiter gewaltiger Schatten heran, und ein neuerlicher Schlag traf den Zimmermann. Derwalts Schrei klang noch schmerzerfüllter; diesmal fiel er nicht mehr auf Hände und Knie herab, sondern stürzte längs auf den Boden.
    Pater Tobias schloß mit einem lautlosen Stöhnen die Augen, sank auf die Knie herab und bekreuzigte sich, ehe er die Hände zum Gebet faltete. Seine Lippen bewegten sich 220
    zwar, aber sein Kopf war wie leergefegt. Er fand die heiligen Worte nicht mehr. Wie vor ein paar Stunden im Schloß des Grafen war da nichts, was auf sein lautloses Flehen antwortete, keine warme, schützende Hand, die sich nach seiner Seele ausstreckte und den Schmerz linderte. Als er nach einigen Augenblicken die Lider wieder hob, waren die Schatten noch immer da und das Bild schrecklicher denn je.
    Derwalt hatte sich wieder auf Hände und Knie gestemmt und saß stöhnend da. Die Knochenreiter bildeten einen Halbkreis um ihn und das Flußufer. Als das Mondlicht abermals auf die düstere Szenerie fiel, schmolz auch Pater Tobias' allerletzte, verzweifelte Hoffnung dahin. Es war kein Trugbild gewesen, kein Streich, den ihm seine übermüdeten und überreizten Nerven gespielt hatten: Die Gesichter der Männer in den Sätteln der riesigen Schlachtrosse waren keine gewöhnlichen Gesichter. Es waren grinsende Toten-kopffratzen.
    Mittlerweile hatte sich Derwalt wieder auf die Füße geplagt und stand schwankend da. Sein Blick irrte verzweifelt umher, tastete für einen Moment das Flußufer ab und kehrte dann zurück zu dem stummen Halbkreis riesiger, drohender Gestalten, der ihn umgab. Sein Gesicht war blut-
    überströmt, er schien nicht einmal mehr die Kraft zu haben, sich auf den Füßen zu halten. Trotzdem wagte er einen taumelnden Schritt, machte dann einen zweiten und dritten, ehe einer der Reiter sein Pferd ein Stück zur Seite bewegte und ihm damit den Weg versperrte.
    Aber Derwalt gab noch nicht auf. Mit einer Kraft und einem Mut, die ihm wohl nur die schiere Verzweiflung verlieh, fuhr er plötzlich herum, warf sich fast in der gleichen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung und war mit einem blitzschnellen Schritt neben einem der Reiter. Mit einem Schrei streckte er die Arme aus und riß mit aller Gewalt am Zaumzeug des Pferdes.
    Das Tier bäumte sich auf. Seine Vorderhufe schlugen wütend in die Luft und verfehlten Derwalts Schädel nur um eine Handspanne, und der Knochenreiter hatte plötzlich alle Mühe, sich im Sattel zu halten.
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    Der Reiter neben ihm versuchte, sein Tier herumzureißen, und griff gleichzeitig zum Gürtel; wohl um eine Waffe zu ziehen, wie Tobias vermutete. Aber da war Derwalt bereits zwischen den beiden Tieren hindurchgetaucht und rannte mit weit

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