Wolfgang Hohlbein -
Schrecken, der ihn ergriffen hatte, wich ein wenig. Trotzdem sagte er kein Wort mehr, sondern wartete geduldig, bis Maria die Tür hinter sich geschlossen hatte und ihre Schritte draußen auf dem Gang verklungen waren, ehe er Platz nahm und nach Katrins Hand griff.
Ihre Finger zitterten. Er konnte spüren, wie schnell ihr Herz schlug. Sie sah gesünder aus, als sie war. Und trotzdem hatte sich ihr Zustand auf eine wunderbare Weise gebessert in den wenigen Stunden, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte.
»Glaubst du wirklich, es war klug, ihr alles zu verraten?«
fragte er.
226
Katrin lächelte schmerzlich. »Sie hat die Wahrheit gesagt, Tobias«, antwortete sie. »Ich habe ihr nichts verraten, sondern nur ein paar sehr bestimmte Fragen beantwortet. Aber keine Sorge - einige Dinge habe ich für mich behalten.«
Tobias lächelte. Aber wie so vieles in den letzten Tagen war auch dieses Lächeln eine Lüge. Katrins Worte taten weh.
Was zwischen ihnen gewesen war an jenem Abend am See, stand Tobias plötzlich schmerzhafter denn je vor Augen.
Nur daß das Schöne jener Augenblicke in der Erinnerung verblichen war, während er das fassungslose Entsetzen beim Anblick des sterbenden Mannes bewahrt hatte.
Tobias räusperte sich, um das immer unangenehmer werdende Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen, und er fühlte, wie sich Katrins Hand in seinen Fingern ein wenig versteifte. Sie schien zu spüren, daß irgend etwas in ihm vorging.
»Wie fühlst du dich?« fragte er, nur um etwas zu sagen.
Katrin lächelte müde und zog ihre Hand vollends zurück.
Er wollte sie impulsiv festhalten, führte die Bewegung aber nicht zu Ende, sondern senkte nur den Blick. »Es geht mir gut«, sagte Katrin endlich. »Jedenfalls besser als gestern.
Warum bist du nicht heraufgekommen?«
Tobias sah sie fragend an.
»Heute nacht«, erklärte Katrin. »Ich habe gehört, wie du zurückgekommen bist.«
»Ich war . . . sehr müde«, antwortete Tobias ausweichend. »Und ich wußte nicht, daß du noch wach bist.«
Die Wahrheit war, daß ihm der Gedanke, nach Katrin zu sehen, nicht einmal gekommen war. Er war so voller Angst und Entsetzen gewesen, daß er wie ein in Panik geratenes Tier einfach in dieses Haus geflüchtet war und sich in seinem Bett verkrochen hatte.
»Du warst beim Grafen?« fragte Katrin. Ihr Lächeln
wirkte plötzlich ein wenig unsicher.
Tobias entgegnete nichts, sondern nickte nur, ergriff nun doch ihre Hand und hielt sie fest.
»Er ist ein interessanter Mann, nicht wahr?«
»Er ist ein sonderbarer Mann«, antwortete Tobias. »Er . . .
verwirrt mich.«
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»Du bist nicht der einzige, dem es so ergeht«, antwortete Katrin mit einem flüchtigen Lächeln. »Er verwirrt jeden, der ihm zum ersten Mal begegnet.«
Tobias sagte nichts darauf. Es fiel ihm immer schwerer, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Es war drei Tage her, daß er Katrin gefunden hatte, drei Tage, seit dem Moment, daß die vergangenen siebzehn Jahre jäh zu einem Nichts zusammengeschrumpft waren, als hätte es sie gar nicht gegeben. Und doch - sie waren keine Kinder mehr. Er war der Dominikanermönch und sie - ja, was war sie? Eine Hexe? Ein Teufelsweib, das Menschen vergiftete?
»Du . . . weißt, wessen man mich bezichtigt?« fragte Katrin, und wie ein grelles Feuer brach ihre helle Stimme in seine düsteren Gedanken.
»Ja«, sagte er und hatte nicht die Kraft, ihrem Blick standzuhalten. In seinem Hals saß ein bitterer Kloß. Er spürte, daß er irgend etwas völlig Sinnloses sagen oder tun würde, wenn er das Thema nicht wechselte.
»Warum erzählst du mir nicht, wie es dir ergangen ist?«
fragte er. »Ich habe nicht geglaubt, dich jemals wiederzusehen.«
Katrin streckte die freie Hand nach dem schmalen Fensterbrett aus, hielt sich daran fest und richtete sich ein wenig mehr im Bett auf. Tobias wollte ihr dabei helfen, aber sie schüttelte den Kopf, und er führte die Bewegung nicht zu Ende. Fast erschrocken gestand er sich ein, daß er Angst davor hatte, sie zu berühren, denn er erinnerte sich gut daran, was das letzte Mal geschehen war, als er allein mit ihr in diesem Zimmer gewesen war.
»Ich wußte nicht, daß du verheiratet bist«, begann er von neuem, wobei er sich im stillen für seine eigene Ungeschickt-heit verfluchte. Aber wenn Katrin diese Frage sonderbar vorkam, so überspielte sie es meisterhaft, denn sie sah ihn nur einen Moment nachdenklich an und nickte dann. »Zum zweiten Mal sogar«, sagte sie. »Mein
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