Wolfsdunkel -7-
und als ich Edana sah, wusste ich, warum ich dieses seltsame Kribbeln verspürt hatte. Sie hatten die gleichen Augen.
„Sie sind ihre … “
„Großmutter“, vollendete Edana. „Und alles, was sie noch hat, seit ihre Eltern … starben.“
Ihr Zögern bei dem letzten Wort irritierte mich. Waren sie wirklich gestorben, oder log sie?
Ich dachte an Malachis Behauptung, dass ihre Eltern sie hatten ertränken wollen und er sie daran gehindert habe. Nur blieb die Frage, wie er sie daran gehindert hatte.
„Komm jetzt, Kind!“, befahl Edana.
Sabina schlurfte auf ihre Großmutter zu. Ihre langen, dunklen Haare nahmen ihr die Sicht, sodass sie mich im Vorbeigehen versehentlich anrempelte und ins Stolpern geriet.
Ich fing sie auf und stellte erschrocken fest, wie kalt ihre Arme trotz der Hitze dieser Sommernacht waren.
„Sie ist einsam“, erklärte Edana, sobald Sabina außer Hörweite war. „Sie weiß, dass sie sich nicht mit den gadje einlassen darf, aber es gibt hier niemanden in ihrem Alter.“
Sabina war die jüngste Zigeunerin, die ich hier gesehen hatte; ich schätzte sie auf neunzehn oder zwanzig.
Die Menschen lebten, liebten, heirateten und pflanzten sich fort. Es war das, was Menschen nun mal taten. Aber was geschah mit den Kindern der Zigeuner?
Bevor ich Edana danach fragen konnte, zog sie von dannen. Die Einheimischen und Touristen hatten das Lager längst verlassen; die Zigeuner waren eifrig damit beschäftigt, Ordnung zu machen. Ich fuhr nach Hause. Was hätte ich sonst tun sollen?
Dort checkte ich als Erstes die Türen und Fenster. Josh lief noch immer frei herum, wenngleich ich nach der letzten Nacht bezweifelte, dass er ausgerechnet hierher zurückkehren würde. Aber man konnte nie wissen.
Rastlos tigerte ich durchs Haus – wartend, beobachtend, grübelnd. Würde er kommen oder nicht?
Es war schon Mitternacht, als mich ein kurzes Klopfen in die Küche lockte. Malachi stand auf der anderen Seite der Glasschiebetür.
Er musste wieder mal in den See gesprungen sein, oder er hatte geduscht, denn seine Haare lagen feucht an seinem Kopf, was seine markanten Wangenknochen hervorhob und seine Augen dunkler als poliertes Ebenholz wirken ließ.
Er war ganz in Schwarz gekleidet, hatte jedoch nur die beiden untersten Knöpfe seines Hemds geschlossen, sodass ein langer, geschmeidiger Streifen seiner Brust im Licht des Mondes schimmerte.
Ich durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür.
26
Eine Brise wehte herein, die nach Regen roch. In der Ferne grollte Donner. Malachi bildete eine dunkle Silhouette vor einem noch dunkleren, unruhigen Himmel.
Ich wartete darauf, dass er eintrat; stattdessen nahm er meine Hand und zog mich nach draußen. „Etwas braut sich zusammen.“
Ich warf ihm einen überraschten Blick zu. Etwas? Was für eine seltsame Art, ein Gewitter zu umschreiben.
Wir standen an der Holzbrüstung und beobachteten die Wolken, die sich über den Bergen zusammenballten. Bald schon spendeten grelle Blitze das einzige Licht.
Gewitter hatten mich schon immer fasziniert. Die Art, wie sich der Himmel nach außen zu wölben scheint, der Spalt, der sich in der schwarzen Samtdecke auftut, um den elektrostatischen Lichtbogen entfleuchen zu lassen. „Als ich ein Kind war, dachte ich immer, dass der Himmel überschwappen würde“, sagte ich.
„Vielleicht tut er das ja.“
Meine Hand lag auf der Brüstung, und Malachi bedeckte sie mit seiner. Unsere Hüften und Schultern berührten sich. Die kühlen Vorboten der Sturmfront zerzausten unsere Haare.
Wir betrachteten in kameradschaftlichem Schweigen den Himmel; ich konnte mich nicht erinnern, dass ich mich, mit Ausnahme von Grace, je mit einem Menschen so sehr im Einklang gefühlt hatte. Und nie zuvor hatte ich mich so wohl bei einem Mann gefühlt. Warum vertraute ich ihm?
Der Wind nahm zu; direkt über uns zuckte ein Blitz vorbei. „Wir sollten reingehen“, schlug ich vor.
Malachi wandte sich zu mir um und berührte meine Wange. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, sah nur das leichte Flackern in seinen Augen. „Ich muss nicht bleiben.“
Ich fasste nach oben und strich ihm die Haare aus der Stirn. Er küsste die Innenseite meines Handgelenks. Mir stockte der Atem. „Ich möchte es aber.“
„Dass ich bleibe?“
„Und alles, was mit deinem Bleiben einhergeht.“
Ich verschränkte die Finger mit seinen und führte ihn ins Haus. Immerhin war ich noch geistesgegenwärtig genug, die Glastür zu schließen und die
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