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Wolfsfieber - Band 2

Wolfsfieber - Band 2

Titel: Wolfsfieber - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Adelmann
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ich“, presste er bitter hervor. Von seiner stolzen Haltung war nicht mehr viel übrig. Seine dunklen Augen waren überzogen von Bedauern und Schuld.
    „Der Tod meiner Schwester geht auf mein Konto. Sie hat nach dem Tod meiner Mutter ihre Rolle übernommen. Sie beschützte mich. Sie hielt so lange durch, wie sie konnte. Aber als ich zehn wurde, war sie bereits eine alte Frau und damit eine leicht Beute für Farkas, der mich nach all der Zeit und all den Orten dennoch aufgespürt hatte. Sie hielt mich an der Hand, versuchte mich hinter sich zu verbergen, als er ihr das Genick brach. Er sah mich mit einer solchen gehässigen Freude an, dass ich es nicht wagte, auch nur einen Ton von mir zu geben oder gar zu weinen. Von da an gehörte mein Leben ihm. Ich wusste damals nicht, dass er mein Vater war. Alles, was ich wusste, war, dass er der Mörder meiner Schwester war. Er brachte mich, wie viele seiner anderen Abkömmlinge, in seinen georgischen Unterschlupf. Dort befindet sich sein Ausbildungslager . Nicht, dass ihr denkt, er behandelte mich von Anfang an wie etwas Besonderes. Ich wurde mit all den anderen Kindern und Jugendlichen seinem Rudelausbilder Nabokov übergeben. Der steinalte Werwolf ist ein höriger Anhänger Farkas’, der nur eine einzige Aufgabe im Leben hat. Er drillt jeden der Nachkommen im Sinne von Farkas, ohne Gnade oder Rücksicht. Schon an meinem ersten Tag musste ich beweisen, dass ich den ganzen Aufwand wert war, den Farkas auf sich genommen hatte.“ Jakov schluckte angewidert, aber fuhr so schnell wie möglich fort. Er ließ seinen Gefühlen keine Sekunde lang die Überhand, während ich auf Istvans Gesicht ein Kaleidoskop von -unergründlichen Gefühlen auftauchen sah: Scham, Schuld, Angst, -Erleichterung, diesem Schicksal entgangen zu sein, Verständnis, Widerstreben gegen Farkas’ Welt und Methoden.
    „Ich trat also gegen einen der geringeren Söhne an. Es war so etwas wie eine voraussehbare Opferung. Er war zwar zwei Jahre älter als ich, aber er war ein Mensch und mir deutlich unterlegen. Ich schaffte es, ihn niederzuringen, und wartete darauf, dass Nabokov es beenden würde. Aber er starrte mich ungeduldig an und schrie: ‚Na, worauf wartest du? Bring’s zu Ende! Töte die Beute!‘ Ich verstand nicht, wieso ich ihn töten sollte, was es für einen Sinn hatte. Aber als Nabokov meinen Gegner als Beute bezeichnete, hatte ich einen schrecklichen Verdacht. Immerhin hatte ich in meiner Wolfsform, schon seit ich mich erinnern konnte, Beute gerissen, aber meine Mutter hatte mir strikt verboten, in welcher Form auch immer, einen Menschen anzugreifen. Obwohl sie tot war, wollte ich mich an ihre Prinzipien halten. Nabokov brüllte immer lauter, sodass auch die anderen, die nicht gekommen waren, um meinen Kampf zu sehen, näher kamen. Ich stand im Mittelpunkt des Interesses. ‚Was ist los, Kleiner? Hast du keinen Mumm? Du hast die Beute erlegt, also töte sie auch. Oder bist du ein Raubtier ohne Zähne?‘ Er lachte boshaft. Alle lachten sie mich aus. Auch die anderen Kinder. ‚Tu es oder ich zeige dir, was für ein Gefühl es ist, selbst der Gejagte zu sein.‘ Da verstand ich. Mein Leben hing davon ab, ob ich bereit war, den verängstigten Jungen unter mir zu töten. Ich wollte nicht sterben, also tötete ich ihn …“
    Es wurde totenstill im Raum. Serafina sah Jakov mit gequälten Augen an. Ich wusste nicht, für wen sie mehr Mitleid empfand, für Jakov oder den sterbenden Menschenjungen. Allen ging es so. So leben zu müssen, war für jeden von uns, Werwolf oder nicht, unvorstellbar. Jakov schlug schuldbewusst die Augen nieder, bevor er mit gebrochen heiserer Stimme weitersprach:
    „Von da an war alles andere bloß eine Frage der Zeit. Hat man diese Grenze einmal überschritten, gibt es nie wieder ein Zurück. Ich bekam die übliche Farkas-Rudel-Gehirnwäsche und klug, wie ich war, begriff ich, dass ich nur so lange am Leben bleiben würde, solange jeder dachte, ich würde dieses ganze Zeug glauben. Das Problem ist, dass man irgendwann anfängt, es wirklich zu glauben, vor allem wenn man jahrzehntelang nichts anders sieht oder hört als Farkas’ Gesetz. Dreißig Jahre lang ging das so. Bis ich vierzehn Jahre alt war. Ich stand kurz davor, in das Rudel aufgenommen zu werden. Wie viele Leben ich dafür hatte nehmen müssen, erspare ich euch … und mir. Am Abend vor dem großen Abschlusskampf, einem Vollmondkampf Wolf gegen Wolf, bei dem ich mich einem erfahrenen Werwolf aus dem Rudel

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