Wolfsfieber - Band 2
verbracht und musste mir dabei stundenlang sein scheußliches Gerede anhören. Nichts kann das übertreffen!“, brummte ich. Istvan sog zornig die Luft ein und vergaß dabei fast, sie wieder auszuatmen. Er redete nicht gern über diese Nacht, deshalb ließ ich es damit gut sein und begann mich widerwillig aus seiner schwachen Umarmung zu lösen. Ich nahm wieder auf dem breiten Ledersessel Platz, als Jakov hereingebracht wurde, gefolgt von seinen drei Bewachern. Radu und Petre setzten sich auf einen der verbliebenen Holzstühle am Ende des Raumes und verschwanden damit aus meinem Blickfeld. Woltan klebte an Jakovs Seite und ließ ihn nicht eine Sekunde aus den Augen. Kurz sah sich Jakov im Zimmer um und ließ seine Blicke über jeden von uns wandern, bevor er den Stuhl vor uns entdeckte. Mit einem fragenden Blick drehte er sich zu Woltan um, der ihn mit einer wegwerfenden Geste anwies, sich gefälligst dorthin zu setzen. Jakov folgte der Aufforderung, doch sein dunkler Blick blieb beobachtend und vorsichtig. Genauso würde ich auch aussehen, wenn ich mich hinter feindliche Linien begeben hätte, fand ich.
Selbst im Sitzen sah man, wie groß Jakov war. Jemand hatte ihm ein dunkelblaues T-Shirt und eine schwarze Jeans geliehen. Ich tippte auf Petre, da Jakov die Sachen etwas zu groß waren, und ich Woltan nicht zutraute, Jakov auch nur ein Taschentuch zu überlassen.
Man kam sich wie bei einer Zeugenbefragung vor Gericht vor. Wir saßen oder standen wie Ankläger in einer Reihe vor Jakov. Woltan gab den Gerichtswachmann. Es war nur nicht klar, ob es sich bei Jakov lediglich um einen Zeugen oder um den Angeklagten handelte.
„Du hast einiges zu erklären, Jakov“, begann Valentin überlegen und lehnte sich etwas nach vor.
„Dessen bin ich mir bewusst. Ich weiß auch, dass das hier dein Rudel ist, Valentin, und das werde ich respektieren. Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf. Wie du ja gesehen hast, halte ich meine Versprechen“, deutete Jakov an und richtete seine Augen kurz auf Serafina, bevor er sich wieder auf den Rudelanführer konzentrierte.
Wollte er Serafina von seiner Aufrichtigkeit überzeugen?
„Nun gut. Ich gebe zu, wir schulden dir einiges. Aber das heißt nicht, dass wir dir auch vertrauen“, sagte Valentin und durchbohrte den jungen Krieger mit seinen stachelnden Augen.
„Ich habe nichts anderes erwartet. Es wäre unüberlegt, mir sofort zu vertrauen … und weder dich noch Istvan schätze ich als so töricht ein. Aber eines muss dir doch aufgefallen sein, kleiner Bruder ! Mit meinem Verhalten habe ich mir jeglichen Rückweg verbaut. Es gibt für mich nur noch zwei Optionen. Entweder ich ziehe von jetzt an alleine los und versuche, solange ich kann zu überleben, bis sie mich irgendwann finden und für meinen Verrat bluten lassen, oder ich biete an, euch im Kampf gegen ihn zu unterstützen. Und bedenkt, was ich euch damit anbiete. Niemand kennt Farkas so gut wie ich oder weiß mehr über unser …“, erkorrigierte sich schnell, „… sein Rudel. Ganz ehrlich … ihr braucht mich doch dringender als ich euch“, beendete Jakov seine kleine Ansprache. Das klang nicht nach den Worten eines Mannes, der im Affekt beschlossen hatte, die Seiten zu wechseln, sondern nach jemand, der es mehr oder weniger seit langer Zeit bereits ins Auge gefasst haben musste. Alle schwiegen und ließen das Angebot auf sich wirken, bis auf Istvan. Er verließ meine Seite und kam näher an Jakov heran. Langsam ließ er sich zu ihm herab.
„Das klingt, als hättest du dir ja alles ganz genau überlegt. Wen verkaufst du hier für dumm?“, funkelte er Jakov böse an. „Und nenn mich nicht kleiner Bruder ! Verstanden?“, schnaubte er verächtlich.
„Verstanden … Istvan“, murmelte Jakov, um einen bescheidenen Ton bemüht, der ihm offenbar nicht besonders vertraut war.
„Du hast recht. Ich habe schon sehr lange darüber nachgedacht. Länger als dir bewusst ist. Ihr seid mein Ticket raus aus meiner persönlichen Hölle. Das will ich mir nicht ver-bauen. Ja, wir brauchen uns gegenseitig. Und ich schwöre, das ist die reine Wahrheit“, sagte Jakov Istvan von Angesicht zu Angesicht. Für einen kurzen Augenblick lang konnte ich etwas in seinem Gesicht aufblitzen sehen, das mich ihm glauben ließ. Eine schon lange währende Traurigkeit oder eine stille Verzweiflung war zu erkennen, die mich auf verstörende Weise an Istvan erinnerte. Zum ersten Mal bemerkte ich eine Ähnlichkeit zwischen den ungleichen Halbbrüdern.
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