Wolfsfieber - Band 2
stellen musste, kam Farkas zu mir. Ich hatte ihn in den letzten Jahren nur ein paar Mal gesehen und bemerkt, dass er meine Fortschritte überwachte. Doch in dieser Nacht durfte ich mit ihm alleine sprechen. Ihr müsst wissen, in unserer Welt, seinem Rudel, ist das eine große Ehre und Ausnahme, die nicht vielen zuteilwird. Er sagte es mir. Alles. Dass ich sein Sohn sei und er große Pläne für mich habe. Er meinte, er habe meine Kämpfe mit großer Freude verfolgt und sollte ich mich so entwickeln, wie er es sich vorstelle, würde ich eines Tages eine ganz besondere Position im Rudel einnehmen. Damals dachte ich noch – das könnt ihr kaum verstehen –, dass ich deshalb etwas Besonderes sei, und war stolz, wie viel Aufmerksamkeit mir zuteilwurde. Tja, ich war dumm, hochmütig und verblendet von jahrzehntelangen Irrlehren: Menschen sind unsere natürlichen Feinde, der unterlegene Vorfahre, den es gilt, zu besiegen und zu beherrschen. Der Wolf ist unser wahres Wesen, das Animalische unsere Religion und der Mensch lediglich das letzte Überbleibsel einer schwachen Vergangenheit, die wir nur behalten, um uns unbemerkt an unserer Beute ranschleichen zu können. All dieses Zeug“, brummte Jakov und atmete kopfschüttelnd aus. Also glaubt er nicht mehr daran , schloss ich aus seinem Verhalten.
„Ich gewann den Entscheidungskampf. Aber das war nur der Anfang. Es ist nämlich nicht so einfach, in der Rudelhierarchie aufzusteigen, wie sich herausstellte. Es genügte nicht, dass ich mich bei den Überfällen auf die Menschendörfer als geschickter und effizienter Raubtiermörder erwies. Ich musste ständig, bei jedem Vollmond, gegen meine eigenen Rudelbrüder antreten. Erst wenn ich sie besiegt oder manchmal sogar getötet hatte, konnte ich ihre Stellung einnehmen. Diese Verschwendung! Ihr müsst euch einmal vorstellen, wie viele fähige Wölfe … Männer auf diese Weise verloren gehen. Deshalb wächst das Farkasrudel auch nie wirklich. Denn nur die Stärksten und Brutalsten von uns bleiben am Ende übrig, genau, wie es Farkas will. So ging das ewig weiter. Ab und an fragte ich mich schon nach dem Sinn von unseren unorganisierten Überfällen oder wieso Farkas der Einzige aus dem gesamten Rudel war, dem es erlaubt ist, sich mit einer Frau zu paaren und Nachkommen zu zeugen. Aber ich hatte gelernt, keine Fragen zu stellen, und es gibt keine Freundschaften in unserem Rudel. Jeder ist der Feind des anderen. So behält jeder seine Bedenken für sich und niemand tanzt aus der Reihe, genau, wie Vater es will. Selbst als er mich zum Anführer der Drei machte und mir eine winzige Illusion von Eigenständigkeit gab, änderte es nichts. Meine sogenannten Brüder folgten zwar jedem meiner Befehle, weil sie fürchten mussten, sonst von mir getötet zu werden, oder Angst vor Farkas Strafe hatten, aber es gab nie eine Bindung zwischen uns, die über eine wölfische Kampfgenossenschaft hinausging.“
Jakov machte eine lange Gedankenpause. Er schien zu überlegen, wie er uns den nächsten Teil am besten beibringen sollte.
„Das ist für euch vielleicht sonderbar, aber am meisten störten mich die Einsamkeit und der Verzicht auf eine weibliche Gefährtin.“
Er lachte bitter, als könne er sich selbst genauso wenig begreifen wie wir ihn.
„Vielleicht liegt es daran, dass ich von Anfang an anders war, als alle anderen im Rudel. Dimitri zum Beispiel. Es -dürfte euch wohl nicht entgangen sein, dass er jeden Menschen ansieht, als würde er ihn abgrundtief hassen. Das tut er tatsächlich. Seine Mutter und sein Ziehvater haben ihn geschlagen, seit er laufen konnte. Als Farkas zu ihm kam und ihn biss, war es für ihn wie ein Geschenk, das er nur allzu gerne annahm. Er brachte seine eigene Familie um und schwor Farkas bedingungslose Gefolgschaft bis in den Tod. Niemand musste ihn lange bearbeiten. Für ihn ist jeder Mensch nur ein Schandfleck auf der Landschaft, besonders Frauen. Über weibliche Werwölfe denkt er genauso. Deshalb hat er es auch so auf dich abgesehen, Serafina. Für ihn bist du ein Verbrechen gegen die natürliche Ordnung. Farkas behauptet nämlich, nur die stärksten Männer seien dazu auserkoren, einen Wolf in sich tragen zu dürfen und dessen Gestalt anzunehmen. Frauen haben für sie beide nur einen Zweck …“
„Ich kann mir schon denken, welchen“, schnaubte Sera-fina wütend.
„Mein Genick bekommt dieser Bastard nie wieder zu fassen. Das schwöre ich dir“, setzte sie scharf hinzu. Jakov strahlte sie
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