Wolfsfieber - Band 2
angekommen war, begannen Valentins Gesänge. Es dauerte eine Weile, aber die Mischung aus dem Trunk, dem zischend lodernden Feuer, das plötzlich begann, eigenartige Formen zu bilden und Valentins monotoner Samtstimme, die immer wieder diese fremden Klänge rezitierte, führten dazu, dass mir der Kopf schwirrte und alles sich zu drehen begann. Als ich zu Istvan sah, war dieser merkwürdig nach vorne gebeugt und starrte gebannt in das Feuer vor sich. Warum nur schaukelte seine Gestalt so viel herum? Wieso drehte sich der ganze Wald samt Lagerfeuer und Valentin in einer Spirale um mich? Eigentlich um uns, denn Istvan schien von diesem seltsamen Strudel ebenso verschont zu bleiben, wie ich. Ungeschickt und alles andere als elegant suchten unsere Hände nach einander, als wären wir blind. Erst als ich seine heiße Haut zu spüren begann, ließ dieser heftige Schwindel etwas nach. Ich versuchte panisch, in Istvans Gesicht zu sehen. Weil es mir nicht richtig gelang, begann ich mit einer Hand nach seiner Wange zu suchen, aber er war schneller. Geschickter. Seine rechte Hand hatte meine Wange ertastet und er versuchte, sich an meinen Augen festzuhalten. So wie man sich auf einen Punkt konzentrieren sollte, wenn man sich wild dreht. Ich tat es ihm gleich. Sobald ich seine grünen Smaragdaugen gefunden hatte, fixierte ich sie. Aber sie schienen noch tiefer als gewöhnlich. Bis ich letztendlich glaubte, ich würde in seinem Grün ertrinken, nur dass es mir nichts ausmachte. Ertrinkt er gerade ebenso in meinem blauen See?, war mein letzter Gedanke, ehe alles schwarz wurde. Meine Lider mussten sich geschlossen haben. Als ich versuchte, zu mir zu kommen, sprühten grüne und blaue Blitze vor mir. Nein, keine Blitze. Es war vielmehr so, als würde jemand färbendes Pulver in die Flammen werfen, das sie farbig auflodern ließ. War ich nun wach oder träumte ich bereits?
Ich begann aufzustehen, aber mein Körper fühlte sich nicht so recht wie ein Körper aus Fleisch und Blut an, eher wie eine Erinnerung daran, wie sich so etwas anzufühlen hat. Istvan? Sein Name dröhnte allumfassend in meinen Gedanken. Ich versuchte seinen Namen zu rufen, aber ich hatte hier keine Stimme, jedenfalls keine richtige Stimme mit Klang.
Aber als ich seinen Namen in endloser Wiederholung dachte, fühle ich seine Anwesenheit. Nicht seinen Körper oder dass er noch immer meine Hand hielt, nein, die Anwesenheit seiner Seele, seine Geistes legte sich über mich wie eine warme Flut aus Licht. Auch er, jetzt konnte ich ihn wieder sehen, versuchte zu sprechen. Schneller als ich begriff er und stellte seine Frage in Gedanken. Und ich hörte sie. Sie durchdrang mich, obwohl ich kein Geräusch hörte. Es war, als würde ich meine Reaktion auf seine schöne Stimme erleben, ohne sie real und physisch tatsächlich vernehmen zu können.
„Wo sind wir hier?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich stumm. Dann sah ich mich um.
Wir, unsere Körper, waren genau dort, wo wir sein sollten. Mit geschlossenen Augen saßen wir neben dem Lagerfeuer, Valentin vor uns. Es war mehr als nur merkwürdig, sich selbst sehen zu können. Verstörend geradezu. Wir teilten einen synchronen Gedanken, dann sah ich, wie Istvan den Kopf drehte. Irgendetwas sah er oben auf der Anhöhe. Ich folgte seinem Blick, konnte aber nichts erkennen. Er ging wie magnetisch angezogen darauf zu. Sofort hatte ich Valentins Stimme im Ohr, die mich über das Feuer ermahnte: „Du darfst ihn niemals verlieren. Niemals!“ Also folgte ich Istvan. Hier hatte er keine wölfischen Kräfte und musste sich fast so normal bewegen wie ich, wenn wir uns wirklich bewegt hätten. Aber genau wie in einem echten Traum brauchten wir nur in die Richtung von etwas zu gehen, bis es ebenso auf uns zukam. So fanden wir uns, ganz unvermittelt, in einem anderen Wald, zu einer anderen Tageszeit und in einer völlig anderen Stimmung wieder. Hier schien alles hell, einladend und friedlich. Der grüne Frühlingshain umschloss einen klaren, wilden Teich, an dessen Ufer eine Frau saß. Ich ging, ein paar Schritte hinter Istvan, auf sie zu. Sie drehte sich um, als sie uns kommen fühlte. Ein strahlendes Lächeln und dunkelgrüne Augen, die zu einer starken, aufrechten Frau gehörten, erwarteten uns. Ich brauchte eine Sekunde, bis ich sie erkannte, aber Istvan war schneller. Mit aufgerissenen, ungläubigen Augen sah er zu mir. Vor ihm stand schließlich seine tote Mutter Maria. Sie war also der Ahne, der eine Botschaft für ihn
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