Wolfsfieber - Band 2
Schneeflocken bedeckt, kam ein riesiger Kerl hinter ihm her. Sein wütendes, ungleichmäßiges Gesicht war hochrot vor Zorn, der ihn vollkommen beherrschte. Seine kaum menschlichen Züge waren erschreckend. Seinen breiten, massigen Körper bemerkend, konnte ich nicht anders, als Angst um Istvan zu haben. Auch wenn das absolut lächerlich war, denn alles hier geschah ja nicht wirklich. Doch der mordlustige Racheausdruck des Mannes konnte einem die Haare zu Berge stehen lassen. Ohne Zweifel legte er es darauf an, Istvan fertigzumachen. Ich wusste, dass er dem Mann gerade in der Bar, auch wenn ich es nicht selbst gesehen hatte, eine peinliche Niederlage beschert hatte, vor den Augen seiner angetrunkenen Freunde, die sich jetzt alle vor die Bar drängten, um das Spektakel zu sehen. Der zornige Mann schrie Istvan nach: „Los, komm zurück, kleiner Feigling. Ich bin noch nicht fertig mit dir!“ Istvan beachtete ihn anscheinend kaum und ging mit einem leeren Ausdruck in den Augen weiter, direkt auf uns zu. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als mir klar wurde, dass derselbe Mann, den ich umklammert hielt, auch auf mich zuging. Doch der Schläger gab nicht auf. Ich sah seine zu Fäusten geballten Hände und die deutlich blutigen Schwielen auf seinen Knöcheln. Dann schrie er es. Laut. Bedrohlich. „Fahr zur Hölle, Missgeburt!“ Als das Wort „Missgeburt“ noch nicht ganz im aufziehenden Schneesturm verklungen war, starrte ich in Istvans dunkle Augen vor mir, die sich mit einem irisierenden Grün überzogen, das mich gefährlich anfunkelte, fast als könnte er mich sehen. Mein Istvan bebte bereits vor Schmerz und ging beinahe zu Boden. Es war schmerzhaft für ihn, sich selbst so zu sehen und nichts dagegen machen zu können. Aber die Vergangenheit kann man nicht ändern. Egal, wie sehr wir beide es uns auch wünschten. Der von seiner dunklen Seite beherrschte Istvan drehte sich reflexartig um und taxierte seinen Gegner, der merklich zurückzuckte, als er die Veränderung in ihm sah. Doch anstatt seinem Instinkt zu gehorchen und sich zurückzuziehen, kam er näher, angestachelt von seiner grölenden Meute. Die beiden passten sich ab, bis der Schläger plötzlich auf Istvan einstürmte. Mit einem einzigen Hervorschnellen seiner rechten Faust beförderte Istvan ihn ein paar Meter von sich. Der Mann stöhnte auf, gab aber dennoch nicht auf. Immer wieder schlug er auf Istvan ein, der die meisten der Hiebe jedoch abwehrte. Da klammerte sich der Schläger an Istvan wie ein Boxer, der seinen Gegner lähmt, indem er in umklammert hält. Die Nähe des Mannes machte Istvan rasend. Er schob ihn von sich. Dabei taumelte er zu Boden. Jetzt war es Istvan, der sich auf den Mann stürzte. Auf dem Boden liegend rangen sie miteinander. Der Schläger gab nicht auf, egal, wie überlegen Istvan auch war. Irgendwann, als Istvan von der lautstark brüllenden Menge abgelenkt war, biss ihn der Hüne zwischen Hals und Nacken. Ich konnte mir deutlich vorstellen, welche traumatische Erinnerung das in ihm zum Vorschein brachte. Er fasste sich an den blutenden Hals, mit der anderen Hand schnappte er seinen Gegner am Kragen und schleuderte ihn mit übermenschlicher Kraft zu Boden, auf die eisige Schneestraße. Das harte Steinpflaster tat sein Übriges. Der Schädel des Mannes brach innerhalb eines Wimpernschlags. Eine Blutlache breitete sich wie ein riesiger roter Tintenfleck auf dem Schnee aus und ließ alle Anwesenden sofort verstummen. Als Istvan sich des schlaffen, toten Körpers in seinen Händen bewusst wurde, trat ein entsetzter, verstörter Ausdruck in sein Gesicht. Seine Augen waren fast ebenso leblos wie die seines Angreifers. Als er erneut in einer unwillkürlichen Geste über seine verheilende Bissspur fuhr, bemerkte er, dass er nicht nur jemandem das Leben genommen hatte, sondern dabei war, sein Geheimnis und das seiner Freunde zu enthüllen. Im Bruchteil einer Sekunde ließ er den Mann zu Boden sinken und rannte unglaublich schnell weg, an uns vorbei. Ich konnte gerade noch sehen, wie das irisierende Grün in seinen traurigen Augen verglühte und durch Schuld ersetzt wurde. Als Istvan in dem dichten Schneesturm verschwand, lösten sich auch alle anderen Personen in Nichts auf. Zurück blieben nur die Geisterstadt dieser Erinnerung und der gebrochene, bebende Istvan, der vor Schmerz fast von Sinnen und in meinen Armen zu Boden gesunken war. Ich konnte seine heißen, bitteren Tränen kaum ertragen. Vor allem, weil ich sie nicht bloß sehen
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