Wolfsfieber - Band 2
willst du hin?“, fragte er außer sich.
„Das weißt du genau“, antworte ich knapp. Er umklammerte mein Handgelenk, sodass ich nicht von der Stelle kommen konnte.
„Nein, Joe! Das ist Irrsinn! Du kannst ihm nicht helfen. Du bist genauso verwundbar wie er. Und du kannst ihm nichts erzählen. Er würde dir kein Wort glauben, und das weißt du auch. Denk nach!“, forderte er außer Atem. Ich versuchte an meiner Hand zu ziehen, um mich zu befreien.
„Lass mich los!“, warnte ich ihn zornig. „Ich kann jetzt nicht nachdenken. Es geht um meinen kleinen Bruder ! Viktor darf nicht dort sein, Istvan. Nicht wenn Farkas kommt“, sagte ich bereits heftig heulend. Wimmernd vor Zorn und Angst um Viktor.
„Ich weiß“, sagte er sanft und zwang mich in seine Arme. Meine Hände krallten sich Halt suchend in seinen Rücken. Kurz ließ ich mich von meiner Verzweiflung überwältigen, bevor mir klar wurde, dass ich damit nur Zeit verschwendete, die ich nicht hatte. Mit einer einzigen wirschen Geste wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, ignorierte die Augenpaare, die sich mir in den Rücken bohrten. Wild entschlossen fixierte ich Istvans grüne Augen, damit er mir auch wirklich zuhörte.
„Ich werde tun, was immer nötig ist, um Viktor dort wegzuholen. Und weder du noch irgendjemand sonst wird mich davon abhalten!“
Er sah mich einen Moment lang fest an, dann seufzte er tief, bevor er mit angespanntem Kiefer die Augen schloss.
„Ein Notfallplan muss also her. Irgendwelche Ideen? Wir sind für jeden Vorschlag dankbar“, sagte er mit noch immer zugepressten Augen.
„Ja, ich habe eine Idee“, sagte ich. Jetzt riss er verblüfft die Augen auf. Istvan war aber nicht verblüfft, dass ich mit einem Plan ankam, sondern dass ich tatsächlich noch vernünftig denken konnte, was ich entschlossen war, ihm zu beweisen. Mein Autopilot war endlich an!
Gerade noch rechzeitig.
20. Der Ersatzkrieger
Ich kam auf dem dunklen Parkplatz an. Die einzige Lichtquelle war der Vollmond. Noch immer hatte ich Istvans letzte Worte im Ohr, bevor wir uns verabschiedeten: „Du hast den Verstand verloren. Tu, was immer du tun musst, aber ich flehe dich an, auf dich aufzupassen!“ Dann ging er wohl seiner Wege, die ihn tief in den Wald führten und ich ging meinen Weg, der mich hierher, auf einen beinahe verwaisten Parkplatz vor dem Stausee gebracht hatte. Den ganzen Nachmittag lang und auch den halben Abend hatten wir gestritten. Ich war erschöpft. Wie sehr ich es auch versuchte, ich konnte ihn einfach nicht von meinem Plan überzeugen. Was immer ich angeführt, wie ich es auch formuliert hatte, Istvan war nicht willens gewesen mich gehen zu lassen. Erst als Valentin für mich einstand, zeichnete sich eine Veränderung ab. „Du musst sie gehen lassen! Es geht um ihren Bruder“, versuchten er und ich Istvan immer wieder einzutrichtern. Aber er war nicht bereit zuzuhören. Irgendwann am frühen Abend verlor ich die Geduld. Er hatte mich sogar mit Gewalt festzuhalten versucht. Ich nahm seinen störrischen Schädel zwischen beide Hände und zwang ihn, mich anzusehen. „Sieh mich an!“, befahl ich ihm unerbittlich. „Sieh mich an, hab ich gesagt!“ Er wand sich in meinen Händen.
„Ich muss das tun. Stell dir vor, es ginge um mich. Du würdest auch keinen Moment zögern … Hab doch ein bisschen Vertauen in mich.“
„Vertrauen“, hatte er streng geblafft, „Vertrauen! Du willst mir ja nicht einmal sagen, wie du Viktor von dort wegschaffen willst. Vertrauen. Sag mir, auf welche Weise du ihn vom Zeltlager weglocken willst, dann vertrau ich dir. Vielleicht“, zischte er mich zornig an. Meine kraftlosen Hände ließen von ihm ab und fielen herunter. Aber ich sagte es ihm nicht. Ich hatte gewusst, wenn er auch nur eine leise Ahnung davon gehabt hätte, was ich vorhatte, hätte er mich im Keller der Jagdvilla eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Die Zeit war auf meiner, nicht jedoch auf Istvans Seite. Ihm blieben noch nicht einmal drei Stunden, ehe die Verwandlung kam. Also sagte ich ihm bloß: „Es ist ein Täuschungsmanöver. Mehr musst du nicht wissen. Mehr werde ich nicht sagen. Ich kann dir aber ver-sichern, dass ich Viktor so mindestens die halbe Nacht lang von dort weghalten kann. Der Rest liegt bei euch. Ihr müsst es in dieser Zeit schaffen, Farkas aufzuhalten und ihn vom Stausee wegzutreiben“, sagte ich und selbst für mich klang es merkwürdig gefühllos, so als
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