Wolfsfieber - Band 2
deutlich aus der pochenden Wunde austreten. Ein scharfer, pulsierender Schmerz ließ Feigheit in mir aufsteigen. Schluss jetzt! Jetzt schnell damit zu Viktor, sonst war alles umsonst, sagte ich mir selbst und lief in Richtung Zeltlager. Ich musste noch den halben Stausee überwinden, um dorthin zu gelangen. Da fiel mir plötzlich ein, dass ich etwas vergessen hatte. Ich hatte zwar das Messer schnell im Kofferraum verschwinden lassen, damit Viktor es nicht sehen konnte, auch nicht zufällig. Doch ich hatte nicht daran gedacht, dass meine Verletzung, die ich mehr oder weniger als Unfall auszugeben gedachte, viel zu verdächtig aussah. Immerhin sollte es so aussehen, als hätte ich mich zu Hause geschnitten und wäre hierher gekommen, damit er mich in die Ambulanz bringen sollte. Aber abgesehen von meinem blutverschmierten Unterarm, um den ich mein Überhemd gewickelte hatte, waren meine Sachen viel zu sauber. Zu verdächtig. Ich war mit diesem Arm von St. Hodas bis nach Rohnitz gefahren. So sollte es zumindest aussehen. Also hielt ich kurz an, um mit meiner Schnittwunde gegen die Oberschenkel zu fahren, damit die Jeans auch richtig verschmiert aussah. Danach presste ich noch kurz den unverbundenen Arm gegen meine Brust, bevor ich wieder den Stoff darüber wickelte. Das sollte reichen. Hastig und etwas benommen von meiner eigenen Tat und womöglich dem beginnenden Blutverlust, erreichte ich das Camp, wo mir ein aufgebrachter Freund Viktors entgegenkam, an dessen Namen ich mich auch nicht um alles Gold der Welt erinnern konnte.
„Könntest du bitte Viktor holen. Ich hab mich verletzt und er muss mich ins Krankenhaus fahren“, erklärte ich ihm aufgebracht und präsentierte ihm etwas zu aufdringlich meine Wunde, die er vermied anzusehen. Offenbar hatte der mittelmäßig gut aussehende Mittzwanziger, auf dessen Namen ich einfach nicht kam, etwas gegen Blut. Mir sollte es nur recht sein.
„Ich hole ihn sofort. Warte hier. Bitte “, flehte er. Ich hatte schon verstanden. Sein Blick sagte: „Folg mir bloß nicht mit dem Blut verströmenden Ding!“ Ich nickte.
Während ich den Stoff so fest wie möglich weiterhin an meine Wunde presste, wartete ich ungeduldig auf Viktor. Jetzt hing alles davon ab, dass er genauso reagieren würde, wie ich erwartete. Nachdem ich mir erlaubt hatte, einmal selbstmitleidig zu seufzen, sah ich mich schnell im Lager um und versuchte alles so schnell wie möglich zu erfassen. Ein stinknormales Sommerzeltlager lag vor mir. Zwei Lagerfeuer. An einem saß ein jüngerer Aufseher, der auf der Gitarre Country und Feelgood-Songs spielte. Einer von Martins Jugendgruppe-Typen … Es sind immer die übereifrigen Jungchristen, die sich voller Elan vor den Teenies blamieren! Bei dem Gedanken hätte ich fast hysterisch losgekichert. Offenbar war ich schlimmer dran, als ich gedacht hatte. Reiß dich zusammen, Joe! Im ganzen Camp gab es nur Jungen. Das Sommerlager wurde von den Sportvereinen veranstaltet, dem Fußball- und dem Basketballverein, alles reine Männerklubs. Das gemischte Zeltlager fand fast immer erst kurz vor September statt, bevor die Schule wieder anfing, manchmal auch mitten im Sommer. Als ich ein paar der Jungs laut auflachen hörte, weil sie mit einem kläffenden Terrier spielten, dem sie immer wieder ein Würstchen hinhielten, dann aber wieder vor der Nase wegzogen, wurde mir ganz mulmig. Welchen von ihnen würde er auswählen? Und wieso? Plötzlich wünschte ich mir, dass ich sie alle von hier fortschaffen könnte. Aber selbst wenn ich mir zig Schnittwunden zugefügt hätte, würde das keinen von ihnen veranlassen, mit mir zu kommen und schon gar nicht mir zu glauben. Viel eher würde ich aufgrund eines solchen Verhaltens in der Klapse landen und das zu Recht. Was ich hier gerade aufführte, war schon nahe dran … Viktor!, stellte ich ungeheuer erleichtert fest.
Er kam besorgt auf mich zugelaufen. Von seinem sons-tigen sonnigen Gesichtsausdruck war nichts zu sehen. Er trug kurze Shorts und ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Sommerzelt-lager – Vorsicht! Aufseher!“ Bei diesem Anblick wären mir fast die Tränen gekommen, aber auch ein Lachkrampf. Eigentlich kämpfte ich mit beidem. Keine Ahnung, wieso.
„Hey, was ist denn passiert?“, fragt er außer Atem. Er musste den halben See überrundet haben, um zum Eingang zu kommen.
„Hab beim Abendessenmachen nicht aufgepasst. Bin ziemlich heftig abgerutscht. Und das auch noch mit dem großen Küchenmesser!“
O. K., ich übertrieb
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