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Wolfsfieber - Band 2

Wolfsfieber - Band 2

Titel: Wolfsfieber - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Adelmann
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hatte ich schon sehr lange nicht mehr getan.
    „Was war für dich am schlimmsten?“, wollte ich von ihm wissen, ehe ich mit meinen finsteren Geheimnissen hinter dem Berg hervorkommen wollte. Ich war mir natürlich bewusst, dass seine Antwort mir wehtun würde. In mir steckte vielleicht doch eine kleine Masochistin.
    „Dass es so still war. Mein ganzes Leben lang waren da immer diese vielen zu lauten Stimmen, diese Geräusche, die so schwer auszublenden sind. Aber nachdem du weg warst, kam mir alles so leer und unheimlich still vor. Deinem Herzschlag nicht mehr lauschen zu können, nicht mehr zu hören, ob es dir auch gut geht, war pure Grausamkeit“, presste er gequält hervor. Dann drückte er sein Ohr an meine Brust und begann zu lauschen, so wie ein Ertrinkender nach Luft schnappt. Das Herz schlug mir bis zum Hals, also fragte ich nach der Intensität meiner Melodie .
    „Allegro Vivace?“
    „Allegro Vivace!“, bestätigte er zufrieden und vergrub sein Gesicht noch tiefer in dem Baumwollstoff, der meinen Oberkörper bedeckte. Ich schloss die Augen und entschuldigte mich bei ihm, dass ich danach gefragt hatte. Istvan meinte, dass es gut täte, darüber zu sprechen. Er hatte offenbar noch mehr, was er loswerden wollte.
    „Eigentlich gibt es da noch etwas, mindestens genauso schlimm, aber auf eine völlig andere Weise“, flüsterte er lautlos. Ich fühlte jetzt schon die Vorankündigung des Schmerzes.
    „Du musst es mir nicht erzählen“, ließ ich ihn wissen.
    „Doch, ich muss. Nur so bekomm ich es aus dem Kopf. Hab ich dir eigentlich je erzählt, dass wir auch ein beinahe fotogra-fisches Gedächtnis haben?“, fragte er nach.
    „Eigentlich nicht, aber ich habe mir schon so etwas gedacht. Du kannst alles, was du liest, gleich auswendig. Und du brauchst eine Karte nie zweimal anzusehen“, folgerte ich.
    „Deshalb habe ich dich mir damals in mein Gedächtnis gebrannt. In der Nacht, als du mir den Anhänger geschenkt hast und ich jeden Quadratzentimeter deines nackten Körpers in mich aufgenommen habe. Dieses Bild war immer mein kostbarster Schatz. Aber als du weg warst, wurde es zu meinem schlimmsten Albtraum. Hast du eine bloße Ahnung, wie es ist, dieses Bild eines über alles geliebten und begehrten Menschen ständig vor Augen zu haben und nicht zu wissen, ob du ihn je wieder siehst?“, fragte er in die Dunkelheit hinein und ich musste mit anhören, wie die Traurigkeit wieder über ihn kam. Es trieb mir die Tränen in die Augen.
    „Es tut mir so unendlich leid“, schniefte ich. Es wühlte ihn auf und er umarmte mich noch fester, um mir zu zeigen, dass er meinen Schmerz nicht wollte. Doch es sollte noch schlimmer kommen und das auch noch durch meine eigene Schuld.
    Nachdem ich schon eine Wunde empfangen hatte, musste ich nun auch noch eine Wunde zufügen. Er war schonungslos offen und ehrlich zu mir gewesen. Dasselbe schuldete ich jetzt Istvan ebenso. Ich wollte es nicht länger hinauszögern, denn das Warten auf eine Wunde ist quälend.
    „Istvan“, sagte ich ernst und flüsternd.
    „Ja?“
    „Es gibt da einige Dinge, die ich dir noch erzählen muss. Ich möchte ganz ehrlich zu dir sein, auch wenn es mir schwerfällt. Es hat mit dem zu tun, was mich zurückgebracht hat“, deute ich kryptisch an.
    „Ja?“, fragte er ängstlich. Sein Instinkt ließ ihn fühlen, dass etwas Schlimmes auf ihn zukommen würde.
    „In der Nacht, bevor ich zurückgekommen bin, da …“ Ich zögerte feige. Wie sollte ich ihm nur klarmachen, dass dieser Kuss mit Tom mir nicht das Mindeste bedeutet hatte und dennoch der Auslöser für meine Rückkehr gewesen war?
    „In dieser Nacht … hat mich jemand geküsst!“ Ich hatte das letzte Wort noch nicht ganz ausgesprochen, da stürmte Istvan bereits aus dem Zelt. Er floh vor mir, dem schul-digen Monster, das ihn vermeintlich betrogen hatte. Plötzlich hörte ich von draußen ein tiefes Knurren, dann einen dumpfen Schlag. Das Geräusch ließ mich zusammenfahren. Doch ich stürzte, gegen jeden menschlichen Instinkt, der vermeintlichen Gefahr entgegen.
    Außerhalb des Zeltes begann bereits die Morgendämmerung und ich konnte ihn in dem Zwielicht leicht ausmachen. Er hatte mir den Rücken zugekehrt und stützte sich mit einer Hand an einem dicken Baumstamm ab. Sein Kopf hing schlaff nach vorne, als würden ihn Schmerzen quälen. Der Gedanke ließ mich unvernünftig werden. Ich rannte zu ihm, riss an seiner Schulter. Er drehte sich jedoch nicht zu mir.
    „Istvan, bitte

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