Wolfsfieber - Band 2
seinen Herausforderungen stellen. Nicht länger alleine oder einsam, sondern gemeinsam, zusammen.
6. Eine neue Welt
Ich musste sehr lange und tief geschlafen haben. Als ich aus diesem traumlosen Schlaf erwachte, fand ich mich in eine Decke gewickelt wieder. Im Lagerfeuer vor mir befanden sich nur noch Überreste von Glut und Asche. Die Sonne stand sehr hoch. Zuerst dachte ich, dass ich von der Decke so gut gewärmt worden war, doch als ich meine Hand nur etwas bewegte, erwachte er hinter mir ebenfalls. Istvan musste mich irgendwann im Laufe des Vormittags in eine der Decken gehüllt haben und benutzte seinen eigenen Körper, um mich im Schlaf zu stützten. Neben meinen Ellbogen waren links und rechts seine Knie und seine abgewinkelten Beine. Mein Rücken war auf seinen Oberkörper gebettet und mein Kopf lag schräg unter seiner Schulter. Einen Arm hatte er um meinen Bauch gespannt.
Als sich die Muskeln in meinem Körper zum ersten Mal anspannten, fühlte ich, wie er seinen Arm um meinen Bauch fester anzog.
Da wusste ich mit Sicherheit, dass Istvan ebenfalls wach war.
„Wie spät ist es? Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte ich mit belegter Stimme.
„Ein paar Stunden. Du warst hundemüde. Es muss früher Nachmittag sein“, entgegnet er mir, ohne sich zu bewegen.
Obwohl es erst April war, war es ungewöhnlich mild und sonnig an diesem Tag.
„Hast du denn überhaupt geschlafen?“, wollte ich von ihm wissen.
„Ein bisschen schon. Aber ich war zu aufgekratzt und … abgelenkt“, feixte er und ich fühlte, wie seine Fingerspitzen an meinen Haarspitzen zupften.
„Das kannst du auch auf die Liste setzen!“, deute er kryptisch an und in seiner wundervollen, tiefen Stimme war ein Grinsen auszumachen.
„Welche Liste?“, fragte ich irritiert nach.
„Die Liste der Dinge, die mir gefehlt haben und ohne die ich nicht mehr auskommen will“, erklärte er mir und ich legte meine Wange zurück an seine Schulter.
„Hast du Durst?“
„Ja und wie“, gab ich zu.
Ich wünschte sofort, dass ich Nein gesagt hätte. Denn er ließ mich los, um mir eine Flasche Mineralwasser aus der Kiste zu holen.
Als ich das kühle Wasser trank und mir den Schlaf aus den Augen rieb, fiel mir ein, dass ich schon übermorgen wieder arbeiten musste. Ich sollte mich auch bei Viktor, Paula und meiner übrigen Familie melden, bevor sie anfingen, sich Sorgen zu machen.
Denn ich hatte Carla ja versprochen, mich umgehend zu melden, wenn ich zurück sein würde. Ich machte mich ungewollt bemerkbar, als ich erschrocken hochfuhr und die Decke von mir abfiel.
Mist! Carla!, schoss es mir durch den Kopf und unbeabsichtigt rief ich es auch leise aus.
Ich hatte bei der ganzen Aufregung vergessen, Istvan zu erzählen, dass ich eine Dummheit begangen hatte, noch eine.
„Istvan“, sprach ich ihn jetzt alarmiert an.
Sofort kam er zurückgeschnellt.
„Was ist? Was stimmt nicht?“, folgerte er schnell und treffsicher.
Er las in meiner Stimme und in meinem Puls wie in einem Buch. Es war sinnlos, irgendetwas vor ihm zu verbergen, was ich ohnehin nicht beabsichtigte.
„Ich habe eine leichtsinnige Gedankenlosigkeit begangen, die ich dir noch nicht gebeichtet habe“, deute ich an, mein Blick ging an ihm vorbei.
„Was denn? Wovon sprichst du?“, fragte er entsetzt nach.
„Als es mir richtig dreckig ging, als ich ganz unten war, da habe ich nicht richtig nachgedacht und habe Carla angefleht, zu mir zu kommen.“
Meine Stimme war voll von Selbstvorwürfen und mein Geständnis schien ihn irgendwie nicht wirklich zu erreichen. Ich konnte keinen Schock in seinem Gesicht erkennen. Hatte er verstanden, was ich ihm gerade sagte? Ich hatte immerhin die Geheimhaltungsregel gebrochen.
„Joe, das ist doch keine Katastrophe. Ich bin froh, dass sie für dich da war!“, meinte er ruhig. Sein Tonfall war vollkommen aufrichtig.
„Ich bin aber unvorsichtig gewesen“, protestierte ich. „Sie wollte wissen, warum ich so kaputt bin. Ließ nicht locker. Das ist es mir fast herausgerutscht. Aber sie wusste es bereits, Istvan. Carla wusste Bescheid über uns!“, stieß ich hervor.
Jetzt huschte endlich ein Funken Überraschung über sein Gesicht.
„Wie? Woher?“, stammelte er erstaunt.
„Sie hat dich auf der Verlobungsparty gesehen und wusste es sofort. Alles, na ja, fast alles“, korrigierte ich mich schnell.
„Wie hast du ihr das bloß erklärt?“, wollte er nun wissen und konnte seine nervöse Anspannung
Weitere Kostenlose Bücher