Wolfsfieber - Band 2
hör mich an. Es ist nicht so, wie es vielleicht scheint. Du musst die ganze Geschichte kennen. Der Kuss war gar nichts . Dieser Mann ist nichts für mich“, stotterte ich panisch.
„Sei still“, befahl mir seine kälteste, eisige Stimme. Er schrie mich fast an. Sein harter Tonfall durchfuhr mich wie ein Eisblitz.
Ich fuhr erschrocken zurück. Istvan schien nun irgend-etwas um seinen Hals zu umklammern. Ich konnte nicht anders und ging an seine Seite, um zu sehen, was er da in seiner Hand hatte.
Dann erkannte ich es.
Istvan umklammerte das Orion-Medaillon. Seine Fingerknöchel waren kalkweiß. Mit geschlossen Augen murmelte er etwas vor sich hin, was ich nicht richtig verstand. Als er merkte, dass ich an seine Seite kam, riss er instinktiv die Augen auf. Wieder blickte ich in die irisierenden Augen eines Istvans, dessen Wolf, dessen finstere Seite versuchte, die Herrschaft über ihn zu erlangen. Doch sobald er meinen erschrockenen Blick sah, begann das beunruhigende Leuchten seiner Augen abzuklingen, bis nur noch das satte Grün übrig blieb, das mir vertraut war. Er atmete erleichtert auf.
„Eifersucht also auch! Starke negative Gefühle“, lamentierte er, für sich selbst theoretisierend, vor sich hin.
„Tut mir so leid, Joe. Ich wollte dich nicht so anfahren. Es ist nur so schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren, wenn es über mich kommt“, gestand er mir und kam zögernd auf mich zu.
Ich tat einen ebenso zaghaften Schritt auf Istvan zu, bis wir wieder dicht voreinander standen.
„Du kannst es mir jetzt erzählen. Ich habe mich im Griff“, sagte er, fast schon zu neutral. Ich war noch zu erschrocken, um gleich zu sprechen.
„Wirklich, Joe, ich will es wissen. Alles!“, ermunterte er mich.
„Na gut. Du musst aber verstehen, dass ich echt am Ende war. Es war der erste Tag, an dem ich mich halbwegs wieder als Mensch gefühlt habe. Ich war auf einem Konzert, wieso ist jetzt nicht mehr wichtig.“ Das Jobangebot klammerte ich bewusst aus. „Ich habe mich mit einem Musiker unterhalten. Wir haben darüber geredet, wie es ist, wenn man verlassen wird oder wenn man jemand verlässt, auch wenn man noch liebt. Dann, ohne Vorwarnung und ohne, dass ich es wollte, hat er mich geküsst.“
Istvan hielt deutlich die Luft an. Die Wunde, die ich schnitt, ging tief. Ich konnte den klaffenden Schnitt förmlich in seinen Augen sehen. Schnell bereute ich meine übertriebene Wahrheitsliebe, jetzt, wo ich in Istvans verletztes Gesicht sehen musste, während ich sprach.
„Hast du den Kuss erwidert?“, verlangte zu wissen und presste die Lippen fest aufeinander. Seine Anspannung war greifbar. Meine ebenso.
„Nein, aber ich habe ihn nicht abgehalten, nicht gleich. Aber Istvan, ich kann nicht bereuen, dass es passiert ist“, sagte ich ihm ins Gesicht. Er starrte mich an, als ob ich jemand Fremder wäre. Fast wäre ich geflohen, aber ich musste seinen Eindruck richtigstellen. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, doch er versuchte sich dagegen zu wehren, drehte den Kopf zur Seite.
„Ich bereue es deshalb nicht, weil ich diesen schrecklichen Kuss nicht gefühlt habe. Ich empfand gar nichts. Als wäre ich eine leblose Hülle. Da verstand ich. Ich konnte bei diesem Mann nichts empfinden, wie auch bei jedem anderen Mann. Der einzige Mann, dessen Kuss ich fühlen kann, durch und durch, mit ganzer Seele, bist du . Als mir das klar wurde, habe ich mich sofort auf den Weg zu dir gemacht. Dieser völlig bedeutungslose Kuss hat mich zu dir zurückgebracht“, fasste ich für ihn zusammen und beobachtete angestrengt, wie er zu verstehen begann. Meine Worte wirkten wie Treibsand. Er ging darin unter, konnte sich ihnen nicht entziehen, bis er verstand. Dann nahm er meine Hand von seiner Wange und drücke sie wortlos. Das genügte mir.
„Nur deshalb bist du zurück?“, fragte er verwirrt.
„Nein, nicht nur deshalb. Ich bin vor allem deinetwegen zurückgekommen. Es klingt total verrückt. Aber in dieser Nacht, eigentlich eher gegen Morgen, hatte ich einen merkwürdigen Traum von dir. Wir waren hier“, erklärte ich ihm und deute mit meiner freien Hand auf das Lager und den Wald, der es umgab.
„Du warst in meinen Träumen immer verschwunden. Aber in diesem Traum bist du zurückgekommen und hast es auch energisch von mir gefordert, ‚Dann komm endlich zurück‘ , hast du mich angefahren. Da habe ich nicht mehr lange gefackelt. Die armen Leute auf der Autobahn hatten Todesangst vor meinem Fahrstil“, scherzte
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