Wolfsfieber - Band 2
wurden ungeduldig. Der Ruf des Waldes und ihrer Instinkte tobte und zerrte merklich an ihnen. Sie konnten sich nicht lange zurückhalten und rannten in V-Formation in den Wald vor mir, Valentin an der Spitze. Istvan wartete. Ich bedeutete ihm, dass er den Valentins folgen sollte, doch er zögerte. Erst als ich mich zu ihm herabbückte, seine Schnauze in meiner Hand hielt und fest in seine irisierend grünen Augen sah, verstand er, dass ich es ehrlich meinte. Er stieß einen kehligen Laut aus, als wollte er mir sagen: „Ich vermisse dich schon jetzt“, dann folgte er der Spur des Rudels. Ich hörte seine leisen Pfoten auf dem Unterholz, bevor er ganz verschwunden war. Ganz alleine war es mir zu unheimlich draußen und ich schlüpfte in das warme Zelt. Sobald ich in den dicken Schlafsack eingewickelt war, bemerkte ich meine Müdigkeit. Aber es gelang mir die ganze Nacht nicht zu schlafen. Das lag aber nicht an den lang gezogenen Wolfsgeheul, das immer mal wieder zu hören war, sondern daran, dass ich einfach keine Ruhe fand. Daran war nicht zu denken, bis ich nicht wissen würde, dass er sicher zurück war.
Zum Glück kam jeder der Valentins am nächsten Morgen angezogen zum Lager. Es wäre der Gipfel der Peinlichkeit gewesen, hätte ich Marius nackt sehen müssen. Als Erster kam Istvan zurück, der nicht zufrieden war, mich bereits wach vorzufinden. Danach traf das Rudel zusammen ein, wobei sie wieder Menschen waren, so, als wäre die letzte Nacht nie passiert.
„Also waren wir wohl nicht besonders erschreckend?“, beschwerte sich Marius, als er sah, dass ich noch im Lager war.
Ich schüttelte über seine Bemerkung grinsend den Kopf. Danach brachte mich Istvan nach Hause, wo ich den versäumten Schlaf nachholte, während er die Bibliothek öffnete.
Ich beschloss zu Istvans Zufriedenheit, den beiden weiteren Verwandlungen nicht beizuwohnen, da ich in den Folge-tagen immer Frühtermine für das Lokalblatt hatte, die sich nicht verschieben ließen.
Der Vollmondzyklus des Mai ging also ohne Vorfälle zu Ende. Das Einzige, was sich im Hause Valentin nach der letzten Vollmondnacht veränderte, war der unerwartete Besuch von Woltans Verlobter Miriam, die die ständige Trennung von ihrem Zukünftigen nicht mehr aushielt und deshalb aus Deutschland angereist war. Ich war sehr gespannt, sie zu treffen. Immerhin hatten wir eine auffällige Gemeinsamkeit.
8. Nah und fern
So lernte ich also Miriam kennen. Ich hatte etwas vollkommen anderes erwartet, jemand anderen. Miriam war ein kleines, zierliches Mädchen mit rotbraunen Haaren, leichten Sommersprossen um die feine Nase und hübschen goldgrünen Augen. Ich hatte aber jemand Größeren, Auffälligeren erwartet. Doch anscheinend bevorzugte Woltan junge Frauen, die seinen Beschützerinstinkt weckten und auch nötig hatten.
Es war mir schier unbegreiflich, wie diese nette und hübsche Zwanzigjährige in einer Wolfswelt zurechtkommen sollte.
Aber eines war unübersehbar und lag auf der Hand, -Miriam war bis über beide Ohren in Woltan verliebt. Sie schmiegte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit an ihn. Woltan sah sie dabei mit einer solchen Hingabe an, dass es kaum zu ertragen war. In mir regte sich dann sofort die Eifersucht, einfach, weil es ihnen so einfach gegeben war, zusammen zu sein, während Istvan und ich um jede Berührung kämpfen mussten. Ich konnte mir kaum vorstellen, welche Folter es für Serafina, die mit einem absoluten Gehör ausgestattet war, sein musste, mit diesem verliebten Paar unter demselben Dach zusammenwohnen zu müssen. Das war einfach nicht fair. Sie tat mir so leid. Sie, die es so sehr verdiente, nicht länger einsam zu sein. Man sah es Serafina aber nicht an. Zu sehr war ihre eigene Familie daran gewöhnt, sie alleine zu wissen. Mir fiel es aber auf, auch, wenn sie noch so gut darin war, es zu verbergen. Ich bemerkte, wie ihre Augen immer wieder von dem verlobten Paar weg in die Ferne schweiften und eine alte Traurigkeit zu verbergen suchten.
Und dann kam der Maitanz. Rohnitz veranstaltete jedes Jahr eine große Tanzveranstaltung, um den Höhepunkt des Frühlings zu feiern. Die Zwillinge waren begeistert. Serafina konnte endlich wieder unter Leute und hinaus aus dem vor Verliebtheit zu eng gewordenen Haus.
Woltan wiederum wollte sich nicht die Chance entgehen lassen, seine Miriam zum Tanz auszuführen. Wir dachten uns sogar extra deswegen eine passende Geschichte aus. Serafina trat als eine ehemalige Kommilitonin von
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