Wolfsfieber
er ihn jetzt
nur noch alle vier Stunden. Im Grunde war alles so lange
in Ordnung, im grünen Bereich, solange keine Notfallnach-
richt von einem der Valentin-Überwacher kam. An dieser
Front gab es im Osten nichts Neues. Wofür ich sehr dank-
bar war. Es hatte sich noch etwas verändert. Nach meiner
Entführung und der Zeit der strengen Überwachung steuer-
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ten wir wieder auf eine Neumondphase zu, was mich sehr
zuversichtlich machte, Istvan für ein paar Stunden von sei-
nen Bodyguardpflichten ablenken zu können. Ich plante, in
der kommenden Nacht das Thema vorsichtig anzusprechen.
Bisher hatte Istvan weder die Geduld noch die Ruhe für die-
se Art von Gesprächen und ich wollte ihn nicht auch noch
mit meinen animalischen Bedürfnissen belasten. Doch im-
merhin war unsere Neumondabmachung noch immer gültig
und es war schwer, jede Nacht im selben Bett mit Istvan
zu schlafen und immer die Finger und Lippen im Zaum
zu halten. Es war an der Zeit, etwas forscher vorzugehen.
Es gab da noch einen anderen Grund, eine Argumentation
dafür, die ich vorbringen konnte. Mein fünfundzwanzigster
Geburtstag stand vor der Tür. Istvan wusste nichts davon,
aber immerhin hieß es, man könne einem Geburtstagskind
keinen Wunsch abschlagen. Ich hoffte, das für mich nutzen
zu können.
Es gab da nur ein kleines Problem. Mein Bruder, Paula
und Carla hatten mich bereits zum Geburtstagsessen am
Samstag eingeladen und es gab keine Möglichkeit, mich da-
vor zu drücken. Ich musste also meinen Plan um einen Tag
verschieben. Es gefiel mir gar nicht, dass ich Istvan nicht
dabeihaben konnte, aber so standen die Dinge nun einmal
und es sah nicht so aus, als ob sich diese Situation in naher
Zukunft ändern würde. Ich hatte dafür meine Nachgeburts-
tags-Privat-Party. Das tröstete mich in meiner Enttäuschung.
Ich müsste ihn nur ein paar Stunden von dem Bildschirm
des Handys wegkriegen, das würde schon helfen. Doch vor-
erst galt es, den Samstag hinter mich zu bringen. Ich konn-
te Carla zum Glück davon abhalten, eine große Party zu
schmeißen, wie ich es zu ihrem fünfundzwanzigsten getan
hatte. Doch ich war eher der Typ für eine kleine Runde von
Freunden mit einem guten Essen. Carla respektierte mei-
nen Wunsch und reservierte einen Tisch für uns fünf bei
unserem Lieblings-Chinesen. Das war mir recht und vieles
sprach dafür, dass es ein ruhiger, angenehmer Abend unter
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Freunden werden würde. Und sobald ich mit meiner Familie
und meiner besten Freundin gefeiert hätte, könnte ich mich
auf mein nächstes Projekt konzentrieren.
Ich hatte bis zum letzten möglichen Augenblick gewar-
tet. Erst am Samstagvormittag machte ich mich auf zur Bib-
liothek. Ich wusste, Istvan würde dort sein und den Buch-
klub des Frauenvereins betreuen. Er öffnete extra für sie am
Wochenende. Die Frauen brachten Kuchen mit und Istvan
spendierte den Kaffee dazu. Die Damen trafen sich alle
zwei Wochen, um ein Buch zu besprechen. Die Anwesen-
heit der acht oder zehn Frauen würde mir dabei helfen, Ist-
vans Panikreaktion wegen des geplanten Geburtstagsessens
zu unterbinden. Ich hatte mich noch nie so darauf gefreut,
eine Gruppe von Hausfrauen um mich zu wissen. Ich ging
schnell den Flur entlang und stieß im Deutschen Saal auf
die neun etwas älteren Damen. So gut wie alle drehten sich
sofort nach mir um. Ich erntete irritierte Blicke, die meiner
unpassenden Anwesenheit galten. Ich ließ mich davon nicht
einschüchtern.
„Guten Tag, die Damen. Ich will nicht stören. Könnten
Sie mir sagen, wo ich Istvan finde? Ich bräuchte dringend
seinen fachmännischen Rat“, sagte ich und schüttelte dabei
ein dickes Buch, das ich vorsorglich zur Tarnung mitgebracht
hatte.
Die älteste von ihnen, eine kleine, zarte Frau mit kurzen,
dauergewellten Haaren, antwortete mir prompt.
„Der Bibliothekar ist hinten im Kroatischen Saal, in der
Küche.“
Ich dankte ihnen und spürte weiterhin ein Unbehagen
über meine Anwesenheit im Raum. Im Kroatischen Saal ging
ich zum letzten Bücherregal und öffnete die Tür dahinter.
Istvan begrüßte mich schon zuvor. Er stand in der winzigen
Einbauküche und kochte zwei Kannen Kaffee gleichzeitig.
„Hi! Gute Cover-Story, die könnten wir noch ausbauen!“,
scherzte er.
Er war offensichtlich gut gelaunt, was mir entgegenkam.
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„Selber Hi“, scherzte ich zurück und nahm mir ein Stück
von dem köstlichen Kuchen auf den
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