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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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auf. Der kurze Blick in den
    Spiegel zeigte es überdeutlich. Ich sah aus wie jemand, der
    etwas Bestimmtes vorhatte. Bei jedem anderen hätte man
    vermutet, dass er nur sehr gut aussehen wollte. Aber jeder,
    der mich kannte, wusste, dass dieser Aufzug die Ausnahme
    war und bestimmt nicht alltäglich. Aber es kam gar nicht in-
    frage, dass ich ihm mein Geschenk anders überreichte. Ich
    wurde nervös, als ich mich auf den Weg machte. Der Kies
    und die Erde des Waldpfades unter mir waren deutlich zu
    hören, als ich in der Dunkelheit auf meinem vertrauten Weg
    wandelte, den schwarzen Samtbeutel fest in der Hand, die in
    der schwarzen Manteltasche steckte. Ich prüfte immer wie-
    der die Schwere des Beutels und seines Inhaltes, indem ich
    es mit der Hand abwog, während ich die Worte meiner Rede
    im Geist wiederholte. Selbst in meinen Gedanken klangen
    manche Passagen krumm und langsam bekam ich das Ge-
    fühl, dass ich es nicht richtig hinkriegen würde. Ich würde
    es verpatzen. Der Gedanke war unerträglich, dass es mir viel-
    leicht nicht gelingen könnte, ihm angemessen meine Liebe
    zu gestehen. Ich konnte mit Worten dieser Art schon immer
    schlecht umgehen. Deshalb war ich so froh, die Silberme-
    daille gefunden zu haben. Sie war das perfekte Symbol mei-
    ner Gefühle für Istvan und ich hoffte, sie könnte mir helfen,
    meine Empfindungen zum Ausdruck zu bringen.
    Der Tritt meiner schwarzen Schnallenschuhe wurde im-
    mer unsicherer und die kalte Nachtluft ernüchterte mein
    Vorhaben. Ich fürchtete mich davor, im entscheidenden Mo-
    ment zu verstummen oder zu erstarren. Das wäre typisch für
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    mich. Ich war eher jemand, der aus dem Moment heraus re-
    agierte und dem die richtigen Worte nur dann zufielen, wenn
    die Hitze des Augenblicks aus mir sprach. So wie es oft mit
    Istvan gewesen war.
    Zu jedem anderen Menschen hätte ich nie so sprechen
    können wie zu ihm. Für die meisten anderen musste ich in
    meinen Gefühlen eher zurückhaltend oder gehemmt wirken,
    aber sah er mich auf eine bestimmte Weise an, dann konnte
    ich die Worte gar nicht für mich behalten. Sie brachen aus
    mir hervor wie Lava aus einem aktiven Vulkan.
    Ich stand jetzt am Waldrand vor der Straße, die hinab zur
    Kirche führte und von dort in seinen kleinen, versteckten
    Garten. Die letzten Schritte, zurück in seine Arme, und ich
    war nicht mutig genug, sie zu machen. Ich starrte in den kla-
    ren, kalten Nachthimmel und versuchte, auf dem südlichen
    Firmament die drei Gürtelsterne des Orions zu finden. Ich
    brauchte gerade mal zwei Sekunden, schon hatte ich mein
    persönliches Sternbild entdeckt. Ich erinnerte mich wieder
    an die Geschichte von Orion, während ich die blinkenden,
    weißen Lichter betrachtete, die die Form eines Kriegers am
    Nachthimmel nachbildeten. In der griechischen Mythologie
    waren der Jäger Orion und Artemis, die Göttin der Jagd und
    des Mondes, ineinander verliebt. Doch man zürnte ihrer Lie-
    be und brachte Artemis durch einen Trick dazu, den Liebs-
    ten selbst mit einem Pfeil zu töten. Die Trauer um den ver-
    lorenen Geliebten traf Artemis so sehr, dass sie beschloss,
    ihn für immer am Nachthimmel zu verewigen. So konnte er
    immer bei ihr sein.
    Ich war mir sicher, dass ein derart gebildeter Mann wie
    Istvan die Legende kannte und so auch mein Symbol in An-
    sätzen verstehen müsste. Schon allein die Tatsache, dass
    Orion ein Jäger war und Artemis dem Mond verpflichtet,
    passte einfach zu gut.
    Der Anblick genügte mir, um meinen Weg fortzusetzen.
    Ich holte das Schmuckstück aus seiner Verpackung und
    hielt es gegen seinen großen Bruder. Die Abbildung mit den
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    Kristallen war sehr gut gemacht und es war merkwürdig, sie
    beide nebeneinander zu sehen. Ich atmete die kühle Luft
    ein. Sie erfrischte meine Gedanken und nährte meinen Mut.
    Wieder in seiner Samthülle verstaut, umklammerte ich das
    Geschenk weiterhin und ging nun die letzte Strecke zu Ist-
    vans Garten hinunter.
    Im Schutz der großen Bäume, die jetzt im Februar noch
    ganz kahl waren und unheimlich im Mondlicht wirkten,
    machte ich mich daran, die Hintertür zu öffnen.
    Natürlich stand Istvan sofort vor mir. Ich war, wie gesagt,
    sehr spät dran, lange überfällig, und er musste sich schon
    Sorgen gemacht haben. Dennoch hatte er mich nicht ange-
    rufen, trotz der zwei Stunden, was mich wunderte.
    „Die Verspätung tut mir leid. Ich hoffe, du hast dir keine
    Sorgen gemacht“, begrüßte ich ihn und fühlte sofort, wie sei-
    ne

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