Wolfsfieber
berührte mich an der Taille. Es raubte mir fast den
Verstand, seine Berührung zu fühlen und ihn danach nicht
gleich selbst zu berühren. Zuletzt kreuzte er meine Beine, in-
dem er mein rechtes ganz sanft über das linke führte. Dabei
küsste er mein knochiges Knie. Ich dachte schon, er wür-
de jetzt eines seiner Skizzenbücher hervorholen und mich
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malen. Doch das tat er nicht. Istvan starrte mich nur sehr
lange und intensiv an, mit einem Blick, den ich mit Worten
nicht beschreiben kann. Das ließ mir das Herz bis zum Hals
schlagen.
„Ich möchte diesen Moment nie vergessen. Dieses Bild
wird für immer in mein Gedächtnis gebrannt sein, zusam-
men mit dem Allegro Vivace deines Herzschlags. Dieses Bild
wird von nun an mein Orion sein“, sagte er ernst, noch im-
mer meinen Körper mit den Augen erforschend.
Dann kam er auf mich zu und ließ es zu, dass auch ich
ihn berührte. In dieser Nacht versuchten wir beide einander
zu beweisen, was wir zuvor geschworen hatten.
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19. Die Hetzjagd beginnt
Auch wenn jeder von uns beiden nur allzu gerne in unse-
rem Versteck geblieben wäre, sich weiterhin in dem zwei mal
zwei Meter Rechteck des Bettes zusammengekauert hätte,
gab es wichtige Notwendigkeiten, die dagegen sprachen. Die
erste Vollmondnacht stand unmittelbar bevor und es muss-
ten noch weitere Vorkehrungen getroffen werden.
Er stand jetzt vor mir, groß und stark, mit diesem sanften,
nervösen Lächeln, das nur meiner Beruhigung diente. Aber
Istvan täuschte mich keine Sekunde. Ich wusste genau, wie
es in ihm aussah, wie besorgt und wachsam er war. Schon
allein der ständige Blick auf das Handy verriet seinen wahren
Gefühlszustand. In wenigen Stunden mussten wir uns auf-
machen zum Lagerplatz im Wolftanzwald und da gäbe es nur
eingeschränkten Empfang, deshalb wollte er bis dahin si-
cherstellen, dass sich der kleine, gelbe Punkt nicht von dort
wegbewegte, wo er bisher so brav verweilt hatte. Ich hatte
ihm mehrmals angeboten, die Nächte in einem Hotel zu ver-
bringen, vielleicht in der Umgebung von Wien. Ich dachte,
das könnte es ihm leichter machen. Doch davon wollte er gar
nichts wissen. Er machte mir klar, dass er es nicht aushalten
könnte, wenn er nicht wüsste, wo ich mich befände, und er
keine Möglichkeit hätte, mich selbst zu beschützen. Einer-
seits war ich froh darüber, aber andererseits bedeutete es für
ihn eine dreitägige Tortur, bei der er am Tag in meinem Haus
das Überwachungssystem anstarren und nachts in seiner
Wolfsform das gesamte Waldgebiet seines Reviers ablaufen
müsste. Das war meine größte Angst, dass er sich so ver-
ausgaben könnte, dass er am Ende noch zusammenklappen
würde. Ich wusste genau, er würde sich nicht eine Minute
Schlaf gönnen, wie sehr ich auch darum betteln würde.
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Ich versuchte, die Angespanntheit der Situation mit mei-
ner praktischen Veranlagung im Zaum zu halten. Die Vor-
kehrungen schienen ihn und mich etwas zu beruhigen. Wir
suchten warme und praktische Kleidung für die Nächte he-
raus und legten sie vorsorglich auf die Kommode in meinem
Zimmer. Ich kaufte im Supermarkt eine Palette Mineralwas-
ser. Damit wollte ich die Lagervorräte aufstocken. Wir holten
zwei der Decken, die ich für die Ankunft der Valentins be-
sorgt hatte, aus dem Weinkeller, um sie im Auto zu platzie-
ren. Ansonsten gab es leider nicht viel, was wir tun konnten,
um unsere Nerven zu beruhigen.
Der Plan war einfach. Die Tage des Vollmondzyklus sollte
ich in meinem Haus verbringen, wo er auf mich aufpassen
könnte. Er hielt es für besser geeignet, da es vom Dorf ent-
fernt lag, und sollten wir, so unwahrscheinlich es auch war,
doch angegriffen werden, wäre es einfacher zu verteidigen,
wie er mir immer und immer wieder versicherte. Unser Haus
stand relativ frei und dicht am Waldrand, sodass er einen
Angreifer bald ausmachen und darauf reagieren könnte. Ich
hielt das für unmöglich. Farkas würde niemals als Mensch
angreifen und schon gar nicht am helllichten Tag. Aber Ist-
van murmelte ständig diesen abgedroschenen Spruch mit
der Vorsicht und der Porzellankiste. Für die Nächte war der
Plan schon etwas konkreter. Jeden Abend müssten wir um
sechs in den Wald fahren. Am Lagerplatz würde er darauf
warten, dass die Verwandlungsschmerzen einsetzten und er
sich verwandelte. Währenddessen sollte ich die ganze Zeit
im Camaro bleiben, den Istvan gleich in der Nähe parken
würde. Ich musste
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