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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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sein.
    „Es war also ein Wolf. Ich meine, ein echter, ganz norma-
    ler Wolf?“, fragte ich nach.
    „Ja, soweit ich weiß. Ich denke nicht, dass der Wolf Toll-
    wut hatte.“
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    „Ja, ich auch nicht“, stimmte ich Istvan zu und setzte
    mich an den Tisch der Schuldirektorin, einer sehr konser-
    vativen Frau Ende fünfzig, die jeden Sonntag in die Kirche
    ging und noch Worte wie „Blasphemie“ benutzte. Es war eine
    seltsame Vorstellung, eine derartige Aussprache auf ihrem
    täglichen Arbeitsplatz zu haben.
    „Wieso hat er bloß die vielen Schafe angegriffen? Wie-
    so kam er überhaupt in das Dorf? Das Ganze ergibt keinen
    Sinn“, zählte ich resignierend auf und stützte meinen Ell-
    bogen auf den Tisch. Ich trug an diesem Tag schwarze Le-
    derhandschuhe und eine Lederjacke, um meine zerkratzte
    linke Hand zu verstecken. Die Schule war abends schlecht
    beheizt, das lieferte mir die Steilvorlage für eine etwaige Aus-
    rede, die ich vielleicht benutzen musste. Istvan setzte sich
    nun zu mir. Er lehnte sich ebenso besorgt in den Drehstuhl
    zurück und überlegte.
    „Ich weiß es nicht. Wäre er tollwütig gewesen, würde das
    alles erklären. Aber so. Du hast recht. Es ergibt keinen Sinn.
    Auf jeden Fall müssen wir noch vorsichtiger sein, besonders
    zu Vollmondzeiten. Ich werde jetzt vermehrt patrouillieren.
    Wir sollten recherchieren. Du hast da ja einige Möglichkei-
    ten und ich habe mein ‚Spezialarchiv‘. Vielleicht finden wir
    so eine Antwort auf dieses Rätsel“, schlug er mir vor und
    lehnte sich, wieder leise murmelnd, näher an mich heran.
    Ich konnte nicht sagen, wieso, aber er hatte wieder an-
    gefangen, das Wir zu benutzen. Er kam langsam über seine
    Bedenken hinweg, auch wenn ich nicht verstand, was sie
    eigentlich ausgelöst hatte. Hatten seine Vorbehalte etwas
    damit zu tun, dass er dachte, ich würde ihn beschuldigen,
    die Schafe verletzt zu haben? Konnte er tatsächlich so von
    mir denken? Und ich dachte immer, wir würden uns bereits
    vorbehaltlos vertrauen. Wieso konnte er mir nicht vertrauen,
    besonders nach meinem Verzweiflungsmarsch? Jedem ande-
    ren Mann wäre dadurch klar geworden, dass ich ihn lieb-
    te. Istvan aber schien in dieser Hinsicht völlig blind zu sein.
    Oder spielte er mir was vor?
    156

    „Ich werde noch mal mit Bernd sprechen. Als Bürger-
    meister weiß er bestimmt mehr darüber. Ich muss ihm vor-
    her nur erklären, wieso ich wegen der Schafe so ausgeflippt
    bin. Mir fällt schon was ein.“
    Mein Plan, weiter dem Schafs-Rätsel allein auf die Spur
    zu gehen, schien ihm nicht zu gefallen. Seine Augen funkel-
    ten mich jetzt besorgt an.
    „Keine Sorge“, beantwortete ich seinen Blick. „Ich krieg
    das hin!“ Ich klang hoffentlich zuversichtlicher, als ich mich
    fühlte.
    „Ach ja. Martin wird heute auch einen Stand betreuen“,
    erwähnte ich so nonchalant wie möglich.
    „Welchen?“, fragt er nach, noch immer deutlich ange-
    spannt.
    „Den Tisch mit dem Bastel- und Handwerkszeug.“
    „Perfekt“, zischte er sarkastisch und fügte mit zusammen-
    gepressten Lippen bitter hinzu: „Genau der Stand neben mir.
    Ich werde mich also wieder die ganze Zeit von dir fernhalten
    müssen.“
    Die letzte Bemerkung musste ihm unabsichtlich rausge-
    rutscht sein. Er richtete seinen Blick ertappt zu Boden.
    „Da ist noch was“, deutete ich an und versuchte zu über-
    spielen, dass ich seine Frustration bemerkt hatte.
    „Mein Bruder und seine Frau kommen auch vorbei. Im-
    merhin sind fast alle hier. Sie kommen aber erst um sechs,
    wenn die Kinder mit der Aufführung beginnen.“
    „Das heißt also Gefahr in Verzug“, fasste er zusammen.
    „Aber wir können nicht so tun, als ob wir uns gar nicht
    kennen würden, das wäre noch verdächtiger“, wandte er ein
    und ich nickte zustimmend.
    „Na gut. Ich schlage vor, wir reden ganz normal miteinander.
    Nur ab und zu. Was hältst du davon?“, fragte ich unsicher.
    „Das könnte funktionieren. Aber, Joe …“, jetzt funkelten
    seine Augen wieder. Sein Ausdruck erinnerte mich an seine
    Augen, die in jener Nacht über mir waren.
    „Ja?“ Ich war jetzt kaum hörbar.
    157

    „Sieh mir bitte nicht in die Augen. Nicht vor den ande-
    ren“, bat er mich, stand auf, einen Stapel Bücher nehmend,
    und machte sich auf, den Raum zu verlassen. An der Tür-
    schwelle blieb er stehen und flüsterte:
    „Ein Blinder würde sonst sehen, dass etwas zwischen uns
    ist.“
    Er ging, ohne sich umzudrehen. Hatte er das

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