Wolfskrieger: Roman (German Edition)
bezahlen können?« Dann fiel es ihr ein. Tassi war bekanntermaßen geizig und bezahlte für überhaupt nichts, wenn er es vermeiden konnte.
Er zuckte mit den Achseln, als hätte sie etwas völlig Lächerliches von sich gegeben.
»Geh nur und trinke etwas«, sagte sie, »aber lass dir nicht zu viel Zeit. Ich will bald heim und mich schlafen legen.«
»Nimm ihn ja nicht mit nach Hause.« Tassi stand lächelnd auf.
»Was?«
»Ich habe doch bemerkt, wie du ihn anschaust«, sagte er. »Er kommt ja nicht infrage, aber falls du in der Stimmung sein solltest …«
»Geh und trinke etwas.«
»Na gut.« Tassi schlurfte zur Halle.
Adisla gab es nicht gern zu, aber Tassi hatte in gewisser Weise sogar Recht. Sie fand den Wolfsmann faszinierend, konnte einen Mann wie ihn aber nicht gerade allzu attraktiv nennen. Unter anderem, weil er stank. Eine Art Moschusgeruch, der eher an ein Tier als an einen Menschen denken ließ. Sie setzte sich auf den Hocker und wollte etwas Mitfühlendes sagen, damit er sich besser fühlte, doch ihr fiel nichts ein. So fragte sie nur: »Bereust du deine Verbrechen jetzt?«
Der Wolfsmann schwieg. Als ein Schatten vorbeizog, blickte sie hoch, doch da war nichts. Die Geschwindigkeit ließ sie aber an die Stare denken. Auf einmal verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, sein Gesicht zu betrachten. Wenn er sie verhexen wollte, würde sie einfach den Blick abwenden.
Es war niemand in der Nähe, und aus der Halle klang der gewohnte Lärm herüber. Sie beugte sich vor und berührte ihn am Arm. Er war hart wie ein Baum, wie sie es erwartet hatte. Dabei löste sich das graue Pulver und blieb an ihren Fingern haften. Sie kostete es. Tatsächlich, es handelte sich um eine Art Kalk. Der Wolfsmann war unter ihrer Berührung nicht zusammengezuckt, und das machte sie kühner. Sie zog die Haube hoch. Jetzt bewegte er sich. Sein Kopf kippte nach vorn. Zuerst dachte sie, er hätte wirklich den Kopf eines Tiers, doch dann wurde ihr klar, dass sie einen großen Wolfspelz sah, der sein Gesicht bedeckte. Vorsichtig hob sie den Pelz hoch und war so überrascht, dass sie sich auf den Hocker fallen ließ. Es war Vali, der sie anblickte.
»Du bist wirklich ein Hexer!« Erst nach und nach wurde ihr ganz bewusst, was sie da vor sich sah. Wenn er ein Gestaltwandler war, dann konnte er sich als Vali ausgeben und – falls er freikam – dessen Platz als Prinz einnehmen, mit den Höflingen reden und essen und wer weiß was noch alles tun. Vielleicht wären sie zusammen in die Hügel gestiegen, hätten sich ins Gras gelegt und sich geküsst. Vielleicht wären sie mit dem kleinen Boot ausgefahren, wie sie und Vali es oft taten. Und dann? Ein Mord, weil Wölfe immer mordeten.
Der Mann blinzelte und sah sie an. Er räusperte sich und sagte langsam: »Kein Hexer.« Die Stimme war tief und heiser, und er hatte einen seltsamen Akzent. Er sprach vorsichtig, als wären die Worte zerbrechliche Dinger, die entzweigehen konnten, wenn er sie zu hastig hervorstieß. Als wäre er nicht daran gewöhnt zu sprechen.
»Was bist du dann?«
»Ich bin ein Wolf.«
Adisla achtete darauf, ihn ja nicht zu lange anzustarren, falls er einen Zauberspruch gegen sie einsetzen wollte.
»Du hast dem Prinzen das Gesicht gestohlen.«
»Das Gesicht hat mir ein Bruder geschenkt. Ich trage es voller Stolz. Ich blicke durch seine Augen, und er kann durch mich wieder sehen. Ich trage sein Fell, und durch mich läuft er wieder.«
Er meinte den Wolfspelz.
»Du bist ein Doppelgänger«, sagte sie. »Ein durchtriebener, heimtückischer Gestaltwandler. Wer hat dich hergeschickt?«
»Ich habe einem Mann mit schwarzen Haaren Essen gestohlen. Er hat mich verzaubert und hierhergebracht.«
Jetzt musste Adisla lachen. Vali hatte viel größeres Interesse, Hnefatafl zu spielen und in den Hügeln herumzuspazieren, als sich mit Magie zu beschäftigen.
»Nicht dass ich dich beleidigen will, aber auch du hast schwarze Haare.«
»Das ist wahr«, stimmte er zu. »Ich bin ein Wolf.«
»Und was ist dir nun zugestoßen, du Wolf?«
Schweigend erwiderte er ihren Blick.
»Sie werden dich hängen«, sagte sie.
Immer noch schwieg er, und sie konnte seinem Blick nicht mehr entkommen. War es so, wenn man verhext wurde?
»Du machst dir anscheinend keine großen Sorgen.«
»Ich bin ein Wolf.«
Anscheinend begriff er gar nicht, in welch großen Schwierigkeiten er steckte. Oder bedeutete der Tod für ihn nicht das Gleiche wie für sie?
»Du bist der Fenriswolf«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher