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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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meine Meinung hören. Zumindest noch nicht.
    »Falls die Möglichkeit einer Übertragung zwischen den
Spezies besteht«, hatte Malachy erklärt, »ist es am besten, wenn Sie jetzt nach Hause gehen und uns ein paar Tests durchführen lassen.«
    Widerstrebend hatten sich die Leute verabschiedet und waren verschwunden. Jetzt saß mein Chef auf einem Stuhl im Wartezimmer, hatte den Kopf an die Wand hinter sich gelehnt und die Augen geschlossen. »Also gut«, sagte er und massierte sich die Schläfen. »Als Erstes müssen wir Blut entnehmen. Als Nächstes sollten wir uns dann die verschiedenen Szenarien durch den Kopf gehen lassen und überlegen, wonach wir eigentlich suchen. Und schließlich müssen wir mich im Keller anketten.«
    Ich ließ ein kurzes Lachen hören, um seinen meiner Meinung nach nicht sonderlich gelungenen Witz zu honorieren. Malachy bedachte mich jedoch mit einem Blick, der mir signalisierte, dass er mich für minderbemittelt hielt. »Das war kein Scherz, Dr. Barrow.«
    »Ach, kommen Sie, Chef. Übertreiben Sie da nicht ein wenig?«
    »Neige ich sonst vielleicht zu Übertreibungen? Haben Sie mich jemals als melodramatisch erlebt?«
    Okay, ich hatte verstanden. Allerdings wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte Malachy noch nie in einer solchen Stimmung erlebt. Er schien sich bereits geschlagen gegeben zu haben, was doch eigentlich gar nicht zu ihm passte. »Dann können wir also keine neue Mischung für Sie anrühren? Was auch immer Sie da zu sich nehmen …«
    Er rollte mit den Augen. »Gütiger Himmel, eine brillante Idee! Warum bin ich nicht selbst daraufgekommen? Das nennt man übrigens Sarkasmus, falls Sie es noch nicht gewusst haben sollten.«

    Empört stemmte ich die Arme in die Hüften. »Darf ich dann zumindest fragen, weshalb Sie keine weiteren Pillen anfertigen können?«
    Er hielt die Augen geschlossen und massierte sich erneut die Schläfen. »Ich kann durchaus neue Pillen anfertigen. Das Problem besteht nur darin, dass von mir, wenn sie zur Einnahme bereit sind, nicht mehr genug übrig sein wird, um zu wissen, was ich mit ihnen tun soll.«
    In der angespannten Stille, die darauf folgte, ertappte ich mich dabei, wie ich völlig bedeutungslosen Gedanken nachhing: Ich bewunderte zum Beispiel, wie das Sonnenlicht schräg durch die Fenster fiel und den Staub in der Luft sichtbar machte. Ich las die Anzeigen an der Wand des Wartezimmers, auf denen nach streunenden Katzen und entlaufenen Hunden gesucht wurde, sowie die Zettel mit Hunden und Katzen, die weggegeben werden sollten. Ich musterte das Regal mit Hundeleinen und Haustier-Leckereien hinter dem Empfangstisch sowie die Zeitschrift Hundeschick auf dem Couchtisch. Alles banale, normale Alltagsdinge - an einem Tag, der sich rapide in Richtung Abnormität zubewegte.
    »Sie bleiben trotzdem Sie selbst, Malachy«, sagte ich. Meine Stimme hallte in dem stillen Raum unangenehm laut wider. »Das ist niemand anders. Im Kern bleiben Sie Sie selbst. So wie ich auch - ob in Wolfs- oder in Menschengestalt.«
    »Das lässt sich mit Ihrer Situation gar nicht vergleichen, Abra.« Er klang barsch, was entweder an seiner Erschöpfung oder an seiner Verärgerung lag. »Vielleicht bleibt ein wesentlicher Bestandteil Ihres Selbst tatsächlich auch noch im Wolf vorhanden. Ich kann das nicht einschätzen.
Aber ich … ich verwandle mich in ein umnachtetes Wesen.« Er hielt einen Moment inne. »Und in diesem Zustand der vollkommenen Umnachtung«, fuhr er fort, »gebe ich mich mit großer Wucht der völligen Degeneriertheit und den niedrigsten Instinkten hin, die man sich nur vorstellen kann.«
    »Ich verstehe das nicht. Was tun Sie denn, was so schrecklich sein kann? Ich jage Wild, Malachy. Ich habe ein lebendiges Tier mit den Zähnen gepackt und zu Boden gerissen, um es dann roh zu fressen. Vielleicht ist das auch ein Ausdruck niedrigster Instinkte, aber wenn ich ein Wolf bin, fühlt es sich nicht so an.«
    Mit klopfendem Herzen wartete ich auf seine Antwort. Nicht einmal mit Red hatte ich bisher darüber gesprochen, was ich als Wolf tat. Bisher hatte ich noch mit überhaupt niemandem darüber geredet, und ich war mir auch nicht sicher, warum ich es gerade Malachy erzählte.
    »Das ist auch nicht schrecklich«, erwiderte dieser. Er blickte mich an. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. »In einem solchen Moment sind Sie ein Wolf, Sie denken und handeln wie einer. Aber sind Sie jemals einem Wesen begegnet, das noch gewisse menschliche Triebe besitzt, die

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